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Helen Roth
Christoph Schlingensief
Vom Provokateur zum Erbauer einer sozialen Plastik
Königshausen u. Neumann 2018
 



Peter Böthig (Hg.)
sprachzeiten
Der Literarische Salon
von Ekke Maaß

Eine Dokumentation
von 1978 bis 2016
Lukas Verlag 2017




George Prochnik
Das unmögliche Exil: Stefan Zweig am Ende der Welt 
C.H.Beck 2016




Frances Spalding
Virginia Woolf:
Leben, Kunst
& Visionen

Sieveking Verlag 2016
 



 


Olivia Harrison
George Harrison
Living
 in the Material World –
Die illustrierte Biografie

Knesebeck

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John Lennon
bei Blumenba
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Susanne Kerckhoff
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Peter Graf

Berliner Briefe

Verlag das Kulturelle Gedächtnis, 2020
 

Susanne Kerckhoffs schonungslose Selbstbefragung bleibt im Nachkriegsdeutschland und seiner von Beschönigung und Opportunismus geprägten Seelenlandschaft eine unerhörte, aber auch ungehörte Botschaft. Nach eigenem Bekunden politisch naiv und rein humanitär, formuliert die Autorin radikal: „Wer im Frühling 1945 nicht aus dem Gefängnis oder dem Konzentrationslager kam, ist mitverantwortlich.“ Das sind nicht nur Worte, schon gar keine Floskeln. Wenn sie von Schuld und Pflicht zur Wiedergutmachung spricht, dann nicht allgemein, sondern als ureigene Last, als „eine moralische Forderung, [...], die jetzt in kleinen Münzen der Verzweiflung bis zum Tode abgetragen“ werden muss.

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Carolin Würfel
Ingrid Wiener und die Kunst der Befreiung
Wien 1968 –Berlin 1972

Hanser Berlin
, 2019

Die traditionellen Frauen-Handwerke Kochen und Weben zu Mitteln der Lebenskunst und der Befreiung aus dem grauen Alltag umschaffen – was für eine Vorstellung? Ingrid Wiener gelingt genau das. Die junge Frau, nach dem Urteil ihres Lehrers zu gutaussehend für die weiterführende Schule, findet früh Kontakt zur Wiener Gruppe, einer Vereinigung von österreichischen Schriftstellern, die in den 50er und 60er Jahren von sich reden macht. Ihr gehören Männer wie Hans Carl Artmann, Gerhard Rühm, Friedrich Achleitner oder Oswald Wiener an, der später ihr Ehemann wird. Eine andere Lebenstechnik, die sie schon in ihrer Jugend beherrscht, ist es, die Menschen zu finden, die ihrem Lebenshunger Nahrung geben und zu ihrer emotionalen Verfassung passen. Anders als vielleicht vermutet, findet eben sie die Männer, und nicht umgekehrt, und – wie Carolin Würfel in zahllosen Interviews und gemeinsam verbrachten Stunden mit ihrer Heldin herausfindet – ist sie „die Frau die Abstand hält“.

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Hermann Hesse
Ich bin ein Mensch des Werdens
und der Wandlungen

Die Briefe 1924 - 1932
Herausgegeben von Volker Michels
S
uhrkamp Verlag, 2017

Die Briefe, die Hermann Hesse zwischen seinem 47sten und seinem 55sten Lebensjahr verfasste, spiegeln eine tiefe körperliche und psychische Krise wider. Im Mai 1925 schreibt er über die Tristesse seines Aufenthalts in Basel, über die enge Bude, das Essen in Wirtshäusern, über das, was die Eheverhältnisse mit der jungen Sopranisten Ruth Wenger mit sich bringen: „Und wenn es mich nicht fröre und ich nicht auf den Hund gekommen wäre, könnte ich das kleine Buch jetzt schreiben, das mir diesen Winter in Basel eingefallen ist ... stattdessen tue ich wieder einmal Kärrnerarbeit und gebe alte Dichter heraus, so daß es nicht am Opium der Arbeit fehlt.“ Er thematisiert diesen desolaten Zustand in den Briefwechseln mit Dichterkollegen und Freunden, wieder und wieder, auch wenn viele dazu diplomatisch schweigen oder versuchen, ihn von seiner Resignation abzubringen. Und doch vermag er diese innere Zerrissenheit und seine „seelischen Spannungen gegen die Umwelt“ zum Gegenstand seiner Dichtung zu machen und in dieser Zeitspanne, mit neuen Imaginationen und zunehmend wiedergewonnener Kreativität, drei seiner literarischen Hauptwerke zu schaffen.

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John Clare
Reise aus Essex 
und autobiografische Fragmente

übersetzt, herausgegeben und
mit einem Vorwort versehen von Esther Kinsky

Matthes & Seitz, 2017
 

Die titelgebende Reise aus Essex im Juli 1841 war in Wirklichkeit eine Flucht. John Clare (1793-1864) verließ die psychiatrische Klinik in Epping Forest bei London, in der ihn besorgte Freunde 1837 untergebracht hatten, buchstäblich bei Nacht und Nebel und brachte die 140 km bis ins heimatliche Northborough bei Northampton in vier Tagen ohne Wegzehrung und Obdach hinter sich. In einem Brief an Matthew Allen, seinen Arzt in Epping Forest, bekennt er, „… das grösste ärgernis an einem orte wie dem euren sind jene als bedienstete zurecht gemachte wärter welche oft eine macht über mich geltend machten als wäre ich ihr gefangener …“ Ein womöglich noch wichtigerer Fluchtgrund, von dem er schreibt, ist die Sehnsucht nach Mary, seiner früheren, aber schon seit mehreren Jahren verstorbenen, Geliebten, die ihm jedoch weiter als geliebte Ehefrau und Muse im Sinn ist.

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Marina Abramović mit James Kaplan  
Durch Mauern gehen  

Autobiografie  
Deutsch von Charlotte Breuer 
und Norbert Möllemann  
Luchterhand Verlag, 2016

IIhre erste internationale Performance, Rhythm 10, 1973 in Edinburgh, die einem slawischen Trinkspiel nachgebildet war, kommt für Marina Abramović einem Initiationserlebnis gleich. In immer schnellerem Takt sticht sie nacheinander 10 Messer zwischen die Finger ihrer gespreizten Hand. Auf dem untergelegten weißen Papier mehren sich die Blutflecken. Zwei Tonbandgeräte geben den Takt vor, bzw. nehmen den Takt und das Aufstöhnen bei den Verletzungen auf und bilden dann den Takt für die nächste Runde. In der Überschreitung ihrer körperlichen Grenzen, findet sie das Medium, mit dem sie zukünftig arbeiten will. 1975 stellt sie in Kopenhagen die einstündige Arbeit Art Must Be Beautiful /Artist Must Be Beautiful vor, in der sie ihren Kopf mit Drahtbürste und Metallkamm bearbeitet und sich dabei Büschel von Haaren ausreist und das Gesicht zerkratzt. Sie hat dabei die bürgerliche Wohlfühlkunst im Auge, „denn ich war zu der Überzeugung gelangt, dass Kunst verstörend sein muss, dass Kunst Fragen stellen und zukunftsweisend sein muss.“  

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Peter Handke
Vor der Baumschattenwand nachts
Zeichen und Anflüge von der Peripherie 2007-2015
Jung und Jung, 2016

Es ist wunderbar mit welch ernster Gelassenheit es dem Dichter gelingt, aus dem Dunkel seiner nächtlichen Baumschattenwand so viel neugierig machendes Material ins Licht zu heben: Laute und Bilder, Träume und Plaudereien, Nachdenklichkeiten und Gewissheiten. Es sind, wie der Untertitel verrät, Zeichen und Anflüge, also Geschenke, die nur als solche erkannt und angenommen werden müssen. Peripherie bedeutet für Handke die ihn umgebende Natur mit ihrer enormen Inspirationskraft sowie seine literarische Umwelt, mit deren Autoren und Werken er sich in ständigem Gespräch befindet.

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    Terry Gilliam 
Gilliamesque – Meine Präposthumen Memoiren
Wilhelm Heine Verlag, 2015

Diese autobiographische Skizze gewährt einen Blick in die Wunderkammer, aus der Terry Gilliam mit aberwitziger Fantasie und nicht enden wollender Energie Ideen freisetzt. Gilliams streng schauendes Konterfei ziert das Cover und aus seinem abgesäbelten Schädel fliegen die Gestalten seiner Filme, Baron Münchhausen auf der Kanonenkugel, Jill Layton aus Brazil, getragen von metallenen Schwingen, Harpyien-gleich, Don Quijote auf Rosinante und ein antik anmutender, gezeichneter Fuß. Mit seinen Zeichnungen, Sketchen und Cartoons zerlegt Gilliam das Leben wie ein verrückt gewordener Alchemist und fügt es in seinen Filmen in lebendigen Bildern wieder zusammen: „Ich arbeitete Nacht für Nacht, und in den frühen Morgenstunden ergaben sich die Szenen dann plötzlich wie von selbst. Plötzlich entstand aus der Beziehung zwischen zwei Objekten eine ganz neue Bedeutung, deren Sinn mir allerdings selbst nicht klar war.“ 

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Lotte meine Lotte
Die Briefe von Goethe
an Charlotte von Stein 1776 – 1786

Kommentare und Nachwort: Jan Volker Röhnert

Die Andere Bibliothek, 2015

Als Goethe 1775, schon berühmt, in das 6000 Seelen zählende Weimar kommt, entspinnt sich eine Geschichte, die in vielem dem Werther, seinem ein Jahr zuvor veröffentlichten Romanbestseller, verwandt ist. Zwar ist er als Günstling des Herzogs Karl August und als dessen Minister wirtschaftlich weich gebettet, doch dürften Neid und Muff der Hofgesellschaft dem hochfliegenden Dichter schwer zugesetzt haben. Ein Brief vom 8. November 1777 spiegelt dieses Ungemach, lässt aber auch eine wohltätige Wirkung durchscheinen, die ihm das Leben in der Provinz versüßt hat: „Hernach fand ich dass das Schicksal da es mich hierher pflanzte vollkommen gemacht hat wie mans den Linden thut man schneidet ihnen den Gipfel weg und alle schöne Aeste dass sie neuen Trieb kriegen sonst sterben sie von oben herein. Freylich stehn sie die ersten Jahre wie Stangen da.“

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George Tabori
Autodafé und Exodus
Erinnerungen
Autodafé aus dem Amerikanischen von Ursula Grützmacher-Tabori

Verlag Klaus Wagenbach 2014

Kurz nach George Taboris Geburt in Budapest wollte sein Bruder, Paul, damals noch ein kleiner Junge, den Neugeborenen der Donau und seinem weiteren Geschick anvertrauen. Er begründete sein Tun mit der Geschichte von Moses, „der als Kleinkind auch auf einem Fluß trieb.“ Die bestürzten Erwachsenen konnten diese frühe Abschiebung verhindern. Über zwei Jahrzehnte später fädelte Taboris Vater, Cornelius Tabori, die Auswanderung seines Sohnes ein. Er schlug ihm vor, nach Sofia zu reisen und eine Stelle als Auslandskorrespondent anzunehmen. Das rettete George Tabori vor den Nazis, denen der Vater nicht entkommen konnte.

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Gernot Wimmer (Hg.)
Ingeborg Bachmann und Paul Celan
Historisch-poetische Korrelationen

De Gruyter, 2014

Paul Celans Dichten und Leben mit den Toten des Holocaust hat die deutsche Literaturgemeinde schon früh provoziert, genervt und verärgert. Anders als viele deutsche Juden, die, wohl ahnend, welches Maß an Ärger und Zurückweisung ihnen entgegenschlagen würde, sich nach dem Krieg nicht als solche zu erkennen gegeben haben, sah der staatenlose, deutschsprachige Dichter aus Czernowitz, der beide Eltern im KZ verloren und selbst einen Lageraufenthalt überlebt hatte, keine Möglichkeit der Selbstverleugnung. Der 2008 unter dem Titel Herzzeit, einer Celan’schen Wortbildung, veröffentlichte Briefwechsel mit der Dichterin und Geliebten Ingeborg Bachmann (1926-73), auf den sich die hier vorgelegte Aufsatzsammlung bezieht, offenbart auf dramatische Weise den in gleichem Maße selbstgewählten wie ererbten Erinnerungsauftrag Paul Celans (1920-1970), das Totengedächtnis, das noch in den intimsten Liebesbegegnungen seinen Vorrang behauptet.

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Max Frisch
Aus dem Berliner Journal

Suhrkamp Verlag 2014

Die Straßen seien zu breit und, wenn man von seinen Kneipen, dem Wannsee, seinem nordischen Himmel und der einen und anderen U-Bahn-Station absieht, will sich dem Dichter, nach einem Eintrag aus dem Februar 1973, nicht recht erschließen, wo Berlin denn eigentlich stattfindet. Max Frisch (1911-1991) hatte mit seiner Frau eine Wohnung in Friedenau, dem Westberliner Dichterkiez in unmittelbarer Nachbarschaft zu Uwe Johnson oder Günter Grass, bezogen und konnte der noch geteilten, wenig metropolenhaften Stadt nicht allzu viel abgewinnen. Sein lebhafteres, zuweilen fast ethnologisches Interesse scheint aber Ostberlin gegolten zu haben.
Die sechs, sieben Berliner Jahre des Dichters haben ihren Niederschlag in fünf Ringbüchern gefunden. Nur die ersten beiden aus den Jahren 1973 und 1974, und auch die nicht vollständig, sind in dem vorliegenden Journal erfasst.

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    Peter Becher, Steffen Höhne, Marek Nekula (Hg.)
Kafka und Prag
Literatur-, kultur-, sozial- und sprachhistorische Kontexte
Böhlau Verlag, 2012


Franz Kafkas Verhältnis zur zionistischen Bewegung, zu ihren Ideengebern wie Hugo Bergmann, Hans Kohn, Gustav Landauer, Felix und Robert Weltsch, zumeist Freunde und Kommilitonen des Dichters oder zum Prager Verein jüdischer Studenten, dem Bar Kochba, ergibt sich aus seiner unmittelbaren Lebenswelt. So stellt sich nicht die Frage ob Kafka, sondern wie er von diesen Ideen beeinflusst war. Kateřina Čapková, eine der neunzehn Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes, versucht seiner, 1917, in Martin Bubers Zeitschrift Der Jude veröffentlichten Erzählung Schakale und Araber solche Antworten abzulauschen. Der Text, der um die Themen Abhängigkeit, Parasitentum und Gier, wie auch um die Suche nach Reinheit kreist, ließe sich unschwer auf Palästina und das jüdische Siedlungsprojekt beziehen. Oder könnten die Protagonisten der Handlung – Araber, Schakale und ein Europäer – auch den jüdisch-deutsch-tschechischen Kontext der heimatlichen Prager Gesellschaft Kafkas spiegeln?
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    Adam Jaromir und Gabriela Cichowska
Fräulein Esthers letzte Vorstellung
Eine Geschichte aus dem Warschauer Ghetto


Dieses in dunklen, erdigen Farben gestaltete Bilderbuch ist ein Denkmal für den polnischen Arzt, Kinderbuchautor und Pädagogen Janusz Korczak (1878-1942), dessen Geschichte im Osten Deutschlands jedes Kind kennt. Es schildert die Zeit vom 13. Mai bis zu jenem 6. August 1942, dem Tag, an dem das Waisenhaus im Warschauer Ghetto aufgelöst wurde und Korczak aus freiem Willen seine Mitarbeiter und die 192 Kinder auf ihrer Todesfahrt nach Treblinka begleitete.
Der tieftraurige Ton des Buches hellt sich nur selten auf: einmal, in einem dreiteiligen herausklappbaren Bild, das, hinter dunklen Fassaden verborgen, den Blick auf unbeschwerte Zeiten freigibt, als die Kinder noch im sonnendurchfluteten Haus außerhalb des Ghettos zu Hause waren und ein anderes Mal, als der indische Dichter und Philosoph, Rabindranath Tagore, ein Zeitgenosse und Seelenverwandter Korczaks, in das Leben der Kinder tritt. Sein Bühnenspiel Das Postamt, das Fräulein Esther mit den Kindern einstudiert, verwandelt das Waisenhaus, drei Wochen vor dem Abtransport, in eine fremde Welt mit exotischen Tieren, Musik und Tanz und lachenden indischen Mädchen.

 

 

 

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Ralf Beil und Burghard Dedner (Hg.)
Georg Büchner.
Revolutionär mit Feder und Skalpell


Es gäbe Shakespeare und Büchner - und dann noch die anderen. Diese Sichtweise, Georg Büchner (1813-1837), der es nach eigenem Bekunden nicht wert gewesen wäre, Shakespeare die Schuhe zu binden, dem großen Engländer direkt an die Seite zu stellen, ist ebenso verblüffend wie nachvollziehbar. In Robert Musils Artikel Shakespear’sche Wortwelt von 1921 ist das Büchner’sche Wort „wie ein fieberhafter Ausschlag, der farbige, schöne, unregelmäßige Flecke hervorzaubert“. Diese bizarre Kennzeichnung, scheint bereits die Typhuserkrankung zu spiegeln, an der der Dichter in seinem 23. Lebensjahr starb.
Das Fiebrige ist ein durchgängiges Charakteristikum, das auch Wolfgang Hildesheimer und Durs Grünbein, zwei der elf in diesem Katalogband zu Worte kommenden Georg-Bücher-Preisträger, an der Sprache Büchners ausmachen. Grünbein, der das Naturstudium als ursächlich für den Stil des Dichters bezeichnet, diagnostiziert: „Fragmente die Folge, fieberhafte Notate, somatische Poesie“.
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Rainer Schmitz (Hg.)
Henriette Herz
In Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen
 

Von Schloß Langeweile pflegte Alexander von Humboldt seine Briefe aus Tegel an Henriette Herz (1764-1847) abzusenden. Allerdings nur die in hebräisch verfassten, eine Sprache in die er, wie auch sein Bruder, von der großen Salonnière selbst eingeführt worden war und die Unbefugten gegenüber verbergen sollte, dass man sich in der Gesellschaft jüdischer Frauen besser unterhielt als auf dem Schlosse der Väter. Im Gegensatz zum Hofadel mit seinem kalten, steifen Formenwesen und seinen Pleureusenmenschen waren Zwanglosigkeit und Offenheit in den jüdischen Häusern die ureigenste Bedingung einer neuen Geselligkeit. Ihre wichtigsten Bildungs- und Beschäftigungsimpulse erhielt die vornehmlich jüdische Salonkultur in Berlin von dem Philosophen Moses Mendelssohn, ob sie persönlich inspiriert waren oder vermittelt durch die von ihm zusammen mit Friedrich Nicolai und Gotthold Ephraim Lessing veröffentlichte Zeitschrift Briefe, die neueste Literatur betreffend. So war es kaum ein Zufall, dass eine der ersten Lesegesellschaften im Hause Dorothea Veits stattfand, der Tochter Mendelssohns und der späteren Gattin Friedrich Schlegels.

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Chris Williams (Hg.)
Richard Burton. Die Tagebücher.
Aus dem Englischen von

Steffen Jacobs, Anna-Nina Kroll, Nicolai von Schweder-Schreiner


Die vielleicht schönsten Sätze der Tagebücher – „Muss vorsichtig sein. Könnte noch zum Götzendiener werden. Wünschte, ich würde sie gut genug kennen, um ihr zu sagen, wie aufregend das Leben ist, wenn sie da ist.“ – schrieb Richard Burton im Mai 65.
Solch zarte Liebesadressen an Elizabeth Taylor finden sich an vielen Stellen der vom Januar 1965 bis zum März 1972 reichenden Tagebücher und stehen doch auf verlorenem Posten gegenüber der selbstzerstörerischen Energie, die der nach eigenem Bekenntnis zynische und misanthropische Schauspieler entfaltet.

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Bertolt Brecht
Notizbücher:
Band 1: 1918-1920


Die Notizbücher enthalten Notate, Aufzeichnungen, Eintragungen, Konzepte und Entwürfe – keine Texte im allgemeinen Sinn. Die genaue Zuordnung und Datierung der Notate ist bisweilen schwierig. Das erste Notizbuch, „Lieder zur Klampfe von Bert Brecht und seinen Freunden“, ist eine Sammlung von Liedtexten und Notenskizzen, darunter Baals Lied, das Brecht in das Theaterstück einbaute, aber auch Texte die „der reinen Freude am Unflat“ entsprangen.

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Burcu Dogramaci und Karin Wimmer (Hg.):
Netzwerke des Exils
Künstlerische Verflechtungen, Austausch und Patronage nach 1933

Der in Deutschland als Bolschewik und in der Sowjetunion als Kapitalist denunzierte Architekt Ernst May ging mit seiner Familie nach Ostafrika, um sich, wie er seinem Freund Martin Wagner schrieb, an den Hängen des Kilimandscharo als Pflanzer sein „eigenes Drittes Reich“ zu schaffen. Wagner teilte mit Bruno Taut einige Exiljahre in der Türkei und war wie der in die USA emigrierte Ludwig Mies van der Rohe in der Weimarer Republik Mitglied der Architektenvereinigung Der Ring, deren Kommunikationsnetz, trotz der in die unterschiedlichsten Winkel der Erde verschlagenen Exilanten, Bestand hatte.
Max Beckmanns Exil in Amsterdam war gekennzeichnet durch eine große Vielfalt von verwandtschaftlichen, kollegialen, geschäftlichen und freundschaftlichen Beziehungen. Herausragend war die Bedeutung des Sammlers Rudolf Freiherr von Simolin, in dessen Wochenendhaus am Starnberger See der Kunsthändler und Beckmann-Intimus, Günther Franke, clandestine Ausstellungen neuerer Werke des Künstlers vor ausgewähltem Publikum organisierte.

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Udo Bermbach
Richard Wagner in Deutschland
Rezeption – Verfälschungen

Die von den Erbe-Verwaltern Wagners, vor allem von Houston Stewart Chamberlain und Hans von Wolzogen, betriebene Identifizierung der Wagnerschen Weltanschauung mit der nationalsozialistischen Ideologie hielt nach 1945 ungebrochen an. Hans von Wolzogen hatte als eine der zentralen Figuren des „Wahnfried-Kreises“ und in seiner 50-jährigen Tätigkeit als Redakteur und Herausgeber der „Bayreuther Blätter“ das Feld bearbeitet, auf dem ihm gleich gesinnte Autoren nachfolgten. Erst 1957 und dann in den 60er Jahren bricht der Bann. Mit den Gelehrten und ehemaligen jüdischen Emigranten, Theodor W. Adorno, Ernst Bloch und Hans Mayer, treten in den „Bayreuther Programmheften“ Autoren auf den Plan, deren Biografie und gesellschaftlich-wissenschaftliche Reputation den Bruch mit der völkischen Tradition signalisieren.

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    Wilfried F. Schoeller:
Döblin. Eine Biographie

Der als einer der ersten Exilautoren schon 1945 zurückgekehrte Alfred Döblin (1878-1957) konnte als Jude, Linker und Schriftsteller, noch dazu in der Uniform eines Literaturinspekteurs der französischen Militärverwaltung, nicht unbedingt auf einen warmherzigen Empfang hoffen. Aber die Eiseskälte, die ihm, wie später der gesamten Exilantengemeinde im westlichen Deutschland entgegenschlug muss ihn schwer getroffen haben.
 Seinem 1949 erschienenen, 4-bändigen, Revolutionsroman November 1918 blieb der große Erfolg versagt. Zudem trieb ihn seine Intimfeindschaft zu Thomas Mann zu den merkwürdigsten, ans Skandalöse grenzenden, Nachstellungen, was ihm von Erika Mann den Vorwurf eines „hysterisch blökenden Neidhammels“ eintrug. Auch seine Konversion zum Katholizismus, 1941 in Frankreich, wie die Zensortätigkeit für die französische Verwaltung scheinen der Rezeption seines Werkes eher geschadet zu haben.
Nach den zwölf Exiljahren in der Schweiz, Paris, Südfrankreich, Lissabon und Hollywood betrat der Autor von Berlin Alexanderplatz 1947 erstmals wieder die Stadt, die ihm vor allen zwischenzeitlich erlebten Metropolen die liebste geblieben war. 

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Denis Bertholet
Paul Valéry – Die Biographie
Aus dem Französischen von Bernd Schwibs und Achim Russer

Die Eckdaten im Leben des Lyrikers Paul Valéry sind mit drei Kriegen verbunden. 1871 in der Küstenstadt Sète geboren, dem Jahr des preußischen Triumphes über Frankreich, erlebt er in der Blüte seiner Jahre den 1. Weltkrieg und gerade mal einen Monat nach der Kapitulation der Deutschen und ein Jahr nach der Befreiung stirbt er im Juni 1945 in der französischen Hauptstadt.
Aus einer italienisch-korsischen Fischerfamilie stammend, ist das Meer die Hauptinspiration des jungen Dichters. Der Hafen, die Schiffe mit ihren Takelagen, das Meeresklima, der durch Valérys Gedicht berühmt gewordene Cimetière marin , und auch die modernen, eine heroische Zukunft verheißenden Panzerboote der französischen Marine sind Teil dieser Begeisterung.
Die von Denis Bertholet verfasste Biographie des Dichters, der auch als einer der wichtigsten philosophischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts gilt, ist in ihrer Übersetzung das erste ausführliche Werk zu Valéry in deutscher Sprache. Der Autor, ganz unparteiischer Chronist, gibt der Faktizität den Vorrang. Er entfaltet anhand von Selbstzeugnissen, Kommentaren, Briefen und Erinnerungen von Verwandten, Freunden und Kollegen einen dennoch sehr empathischen Blick auf die Person Paul Valérys und verfasst so eine, wie Valéry es ausdrücken würde, Erzählung seines Lebens.  mehr

 

 

 

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Alexander von Humboldt – Familie Mendelssohn
Briefwechsel

Herausgegeben von Sebastian Panwitz und Ingo Schwarz

Alexander von Humboldt verband eine vielfältige und zum Teil intensive Freundschaft mit den Mitgliedern der Familie Mendelssohn. War die Bekanntschaft zu Moses Mendelssohn, den Alexander als Gelehrten und Philosoph hoch verehrte, aufgrund des großen Altersunterschiedes eher flüchtig, so unterhielt er einen umso regeren Kontakt mit seinen drei Söhnen und dessen Familien, allen voran mit Joseph Mendelssohn, seiner Frau Henriette und ihrem Sohn Alexander.
Kennen gelernt hatte er den Jugendfreund Joseph im Umfeld der Berliner Salons, die sich, wie der berühmte Salon der Henriette Herz, auf künstlerischem und literarischem Gebiet hervortaten und zu wichtigen Begegnungsstätten zwischen Adel, Großbürgertum, Intellektuellen und vor allem auch jüdischen Bürgern wurden.
So war die Freundschaft zwischen dem adligen von Humboldt, Kammerherr und Lieblingsgast des Königs und Mitglied der preußischen Akademie der Wissenschaften und den vermögenden Financiers und Mäzenen für Kunst und Wissenschaft eine, für beide Seiten, Gewinn bringende Begegnung.

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Erich Mühsam
Tagebücher.
Band 1, 1910-1911

 

„Immer halb Flucht, halb Grenzüberschreitung“ – so beschreibt der Herausgeber Chris Hirte das Leben des berühmten Anarchisten. Erich Mühsam (1878-1934) selbst, Opfer der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und privat immer in Geldnot macht sich diese Zuschreibung nicht zu eigen, kämpft vielmehr zeit seines Lebens gegen diese scheinbar schicksalhafte Rollenzumutung an. Mit unerschütterlicher Beharrlichkeit glaubte er an den Weltwandel, der den freien Menschen hervorbringen sollte. Seinen Beitrag sah er in der Aufrüttelung der Massen, in der Anstachelung zur Revolution und als seine künstlerisch-schriftstellerischen Aufrufe keine revolutionäre Breitenwirkung entfachten, wurde die kompromisslose Umsetzung der anarchistischen Lebensutopie im eigenen Leben sein wichtigstes Ziel.
Das Tagebuchschreiben wurde dabei zum Akt der Selbstprüfung. Mühsams Anspruch politisch in Augenhöhe mit den wilhelminischen Autoritäten zu ringen, begründete sich aus eben dieser aufrichtigen Lebensweise, die auch den offenen Umgang mit eigenen Lastern oder persönlichen Ungereimtheiten einschließt. mehr

 

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Justine Picardie
Coco Chanel - Legende und Leben

Mit Zeichnungen von Karl Lagerfeld
Übersetzt von Gertraude Krueger und Dörthe Kaiser
Steidl Verlag; 2011


In dieser herrlichen Biografie einer wirklichen „Legende“ des 20. Jahrhunderts präsentiert die Autorin Justine Picardie, selbst im Milieu der Haute Couture zuhause, mit einer großen Spannung Coco Chanels aufregendes Leben und seine vielen Bezügen zu den Kunst- und Kulturszenen ihrer Zeit. Mit der Fülle der Schwarzweißfotos – jedes Fotos erzählt immer eine eigene Geschichte – entsteht ein berückendes Dokument der Kulturgeschichte. Die bislang fast im Dunkeln gelegene spätere Kindheit der Chanel in einem aus dem 12. Jahrhundert stammenden Zisterzienserkloster in Aubazine wird in dieser Biographie von manchen Schleiern befreit, hatte die, als Gabrielle Chanel getaufte, Coco doch selbst viel zur Mythenbildung über ihre Kindheit beigetragen.
Wunderbar gelingt es Justine Picardie zu zeigen wie all die Muster, Formen, Kontraste, sakrale Ornamentik und Architektur des Konvents, wo sie als Waisenkind in stiller Abgeschlossenheit von Ordensschwestern erzogen wurde, in einer Explosion kreativen Schaffens der späteren Coco Chanel zu Tage treten konnten und die, vielleicht eher dunklen Erinnerungen dieser frühen Zeit, hinter der Oberfläche einer flirrend schönen Modewelt subtil weiter wirkten.

 

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    Bärbel Meurer
Marianne Weber.
Leben und Werk.

Mohr Siebeck Verlag, 2010

Entgegen dem überkommenen Bild von einer konservativen Frau, deren wissenschaftliche Arbeiten im wesentlichen vom Geist ihres berühmten Mannes inspiriert seien, entdeckt diese akribisch recherchierte Biographie in Marianne Weber eine politisch unabhängige und wissenschaftlich kreative Persönlichkeit. Ihre Mitgliedschaft im Bund Deutscher Frauenvereine und ihre spätere Leitung bezeugen eine linksdemokratische, feministische Haltung, die ganz im Gegensatz zum mütterlich fürsorglichen Rollenbild traditioneller Frauenvereine steht. Als wichtigsten Beitrag Max Webers zur Bildung und zu den wissenschaftlichen Arbeiten seiner Frau nennt die Autorin passender Weise sein „Nichtstun“. Allerdings, die Freiheit zu entscheiden, was und wie sie lernen und arbeiten wollte um die sie in ihrem Elternhaus kämpfen musste, konnte sie tatsächlich erst in ihrer Ehe verwirklichen. mehr

 

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    Helmuth James und Freya von Moltke
Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel
September 1944 – Januar 1945

Herausgegeben von Helmuth Caspar von Moltke
und Ulrike von Moltke

Durch seine Haft auf das Schreiben beschränkt, entwickelte sich in dem Briefwechsel Helmuth James von Molkes mit seiner Frau Freya eine Intensität der Kommunikation, die Menschen sonst eher wortlos und in größter Intimität erleben. Mit der Verlegung Moltkes aus dem Konzentrationslager Ravensbrück in das Strafgefängnis Tegel Ende September 1944 ergab sich für das Paar die Möglichkeit, über den Gefängnispfarrer, Harald Poelchau, an der Zensur der Nationalsozialisten vorbei, täglich Briefe auszutauschen. Der Briefwechsel, der bis zur Exekution des wegen Hochverrats schuldig gesprochenen am 23. Januar 1945 reicht, wird hier komplett und originalgetreu zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.... mehr

 

 

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  Jan Willem Stutje
Rebell zwischen Traum und Tat
Ernest Mandel (1923-1995)

Aus dem Niederländischen von Klaus Mellenthin
VSA-Verlag Hamburg


Im Alter von 16 Jahren wurde der Jude und Sozialist Ernest Mandel (1923-1995) von den Nazis verhaftet und in ein Übergangslager gebracht. Dem fast sicheren Tod entkommt er durch die Flucht mit Hilfe der Wärter, die, beeindruckt von dem unerschrockenen Jungen, sich von ihm über die Vorzüge des Sozialismus belehren lassen. Sein Redetalent und seine persönliche Hingabe machen den Mann, der als einer der bedeutendsten linken Theoretiker des 20. Jahrhunderts wichtiger Bezugspunkt der bundesrepublikanischen Studentenbewegung werden sollte, schon früh zu einem brillanten Agitator. ... mehr

 

 

 

 

 

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    Elke Heidenreich und Tom Krausz
Dylan Thomas – Waliser. Dichter. Trinker

„ Ich bin ein verrückter Benutzer von Worten, kein Dichter“ – alles akademisch-intellektuelle in seinem literarischen Schaffen lehnt Dylan Thomas ab. Weltberühmt, ist er doch der große Unbekannte geblieben. Bob Dylan, die Beatles und die Rolling Stones waren fasziniert und inspiriert von seiner Dichtung, genau wie Richard Burton, Elizabeth Taylor und Catherine Zeta-Jones. Was macht das Besondere an seinem Schreiben aus? Die Leidenschaft, das Düstere und die Intensität seiner Sprache?... mehr
 

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Denise Rüttinger
Schreiben ein Leben lang.
Die Tagebücher des Victor Klemperer


Victor Klemperers Gesamtwerk – ein "autopoietischer Prozess".

Die Antwort auf die Frage nach dem literarischen Vermächtnis Klemperers lautet: „Beobachten, Überleben, Bewahren. (…) In einem lebenslangen autopoetischen Prozess versucht Klemperer als Schriftsteller, Journalist, Wissenschaftler, Briefschreiber, Autobiograph und Diarist, zumindest Teile seines „Dagewesenseins“ zu bewahren. Schreiben dient ihm zur Existenzbewahrung.“ So jedenfalls sieht es Denise Rüttinger, die mit ihrer Dissertation, die erste umfangreiche literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem autobiographischen Schreiben des jüdischen Romanisten vorlegt.  .... mehr

 

 

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    Antje Vollmer
Doppelleben: Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und von Ribbentrop 

Schloss Steinort, in unmittelbarer Nähe des Führerhauptquartiers Wolfsschanze, und ein ehemaliger Pfarrhof in Peterskirchen bei München sind die geographischen und gesellschaftlichen Pole, zwischen denen die Lebenswege von Heinrich und Gottliebe von Lehndorff ausgebreitet werden. Der Titel des Buches, Doppelleben, ist auf seine Protagonisten, aber mehr noch auf diese Schauplätze mit ihrem widersprüchlichen Geschehen gemünzt.
Der ostpreußische Adelssitz Steinort war einer der Treffpunkte, an denen sich die Verschwörer der Gruppe um Henning von Tresckow, zu denen auch die von Lehndorffs zählten, über Jahre hinaus trafen. Zur gleichen Zeit diente ein Flügel des Schlosses Hitlers Außenminister, Joachim von Ribbentrop, als Wohnort und Bühne für seine Hofhaltung.
Den Hof in Peterskirchen hatte die heimatlos gewordene Gottliebe mit Mitteln des Lastenausgleichs in den sechziger Jahren gekauft. Es heißt, er habe sie in seiner Anlage an Steinort erinnert. Zu Zeiten der Studentenbewegung wandelte sich dieser Ort zu einer ersten Adresse der süddeutschen Kunstszene. Filmemacher, Philosophen und Weltverbesserer trafen sich hier, darunter Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla, die hier dreizehn Jahre mit Gottliebe Tür an Tür lebte und ein Nachwort zu dem Buch beigesteuert hat. .... mehr

 

 

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Felix Mendelssohn Bartholdy -
Sämtliche Briefe in 12 Bänden
Band 1 1816 bis Juni 1830


Herausgegeben von Helmut Loos und Wilhelm Seidel

Die Briefe basieren auf der von Rudolf Ehlers angelegten Sammlung

Albert Einstein nannte ihn einen glänzenden Briefeschreiber. Er lobte die Anmut seiner Briefe und die Liebenswürdigkeit der Haltung, die in ihnen zu Tage tritt: Doch wusste er die eigentümliche Freude wie wohl nur wenige zu genießen, die mit dem Empfang und Schreiben eines Briefes verbunden ist. Nun liegt im Jahr des hundertsten Geburtstages von Felix Mendelssohn-Bartholdy der erste Band, der in 5 Bänden angelegten Gesamtausgabe seiner Briefe vor.
Heiter und gesprächig beginnen die Briefe des Neunjährigen. So jung noch, etabliert er die Gewohnheit seinen Briefen kleine Kompositionen oder Notenzitate beizufügen, wie es später in den Briefen an seine Schwester Fanny zum Ritual werden wird. Spielerisch, leicht, sind die ersten Reisebriefe verfasst, ganz wie das Leben, das er im offenen und gastfreien Haus seines Vaters Abraham und seiner Mutter Lea in der Leipziger Straße in Berlin führte. Diese ‚Familienbriefe’ an Geschwister und Eltern führen auf den frühen Reisen trotz der Reisen die familiäre Kommunikation mit Briefen fort.
Seinem Lehrer Zelter beschreibt er das Jodeln in der Schweiz,  nicht ohne eine kleine Notenabfolge beizulegen. Es gefällt ihm wenn dieses Jodeln durch die Berge klingt und in Echos zurückgeworfen wird. Die Mädchenstimmen des Berner Oberlands bedenkt er allerdings mit humoriger Kritik. Später, als Zwanzigjähriger aus London, schreibt er nun aufgerührt:  Es ist entsetzlich! Es ist toll ! Ich bin confus und verdreht! London ist das grandioseste und complicierteste Ungeheuer, das die Welt trägt. … Mach Dich los, sobald Du kannst; wir wollen reisen. Des Vergnügens, der Langeweile und der Lügen bin ich für dies mal satt …und dann wollen wir in die Berge und die Natur mit der Kunst vertauschen … Ich will fort. In den ‚schottischen Doppelbriefen’, in denen Felix Mendelssohn-Bartholdy und sein Freund Carl Klingemann bald danach in einem Brief an die Familie in Berlin schreiben, kann der Leser die Stimmungen der Landschaft auf der schottischen Insel Staffa fühlen, wie sie später in Mendelssohns Konzert-Ouvertüre „Die Hebriden“ eingewoben wurden.

Diese Briefe sind literarische Besonderheiten, sie bereichern Biographien von Dichtern, Künstlern, Berühmtheiten um schöne Sequenzen aus Mendelssohns Erleben, sie zeigen das Werden eines Genies in sehr persönlichen Selbstzeugnissen,  sie breiten geschichtliche und musikgeschichtliche Details und präziose Begebenheiten aus. Welche der vielen künstlerischen und menschlichen Seiten Felix Mendelssohn-Bartholdys sich in dieser Briefsammlung besonders ins Licht rückt, das wird beim Leser selbst und seinen Interessen liegen.

 

 

 

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Bärenreiter Verlag

 

    Einar Schleef
Tagebuch 1999-2001:
Berlin, Wien.

Ein Ein-Kämpfer, aufgerieben zwischen Ost und West, keinem zugehörig, heimatlos, leidet unter kleinlichen verkrusteten Formen und an sich selbst? Fades will er nicht zulassen, bei sich nicht, im Alltag nicht, nicht in der Kunst. Über den Tagebuchtexten der letzten Lebensjahre Einar Schleefs, von noch so kurzen Eintragungen bis zu längeren Essays, steht diese Radikalität wie eine Prämisse. Von einem fast gewalttätig nüchternen Realismus getragen, wendet er sich,  Zuflucht nehmend, immer wieder dem Surrealen und Metaphysischen zu. „ Die haben sie wohl nicht alle!“ schreibt er über Freunde, die für ihn eine vereitelte Professorenpension betrauern, sieht er doch in jedem ‚Schlag’ eine Möglichkeit sich zu verjüngen. „Deshalb kann man nicht stark genug gedroschen werden.“
Wien und Berlin, sind die Orte wo er in seinen letzten Jahren, von 1999 – 2001, die Arbeitstätten für sein Schaffen hatte. In einem Meer von Unruhe gibt es für ihn nur zwei Orte der Entspannung: das Schreiben und das Schwimmen, in der Donau oder im See. In einer Tagebucheintragung beschreibt er wie er am Donauufer in Wien entlang geht und der Leser wird in sein Gehen mitgenommen, wie in  Zeitlupe, wie im Traum ziehen Bühnenbilder vorbei, einzelne Szenen darin werden wieder und wieder minutiös beleuchtet; das Theater ist immer dabei. Vorboten der Katastrophe, des Endes des Leibes lassen ihn vielleicht gegen sein eigenes Vergessen und sein ‚Vergessen werden’ schreiben und doch ist da, unverwüstlich, seine messerscharfe Reflektion: „Warum horte ich meine Vergangenheit, zu was sitze ich an einem hellen Sonntag nach einem ausgiebigen Frühstück in einem ehemaligen DDR Kurheim und räsoniere, Onanie.“
Seine Inszenierungen waren umjubelt und umstritten, er als Künstler geliebt und gehasst. Für Elfriede Jelinek ist er das Nachkriegsgenie des Ostens und Fassbinder das für den Westen. Für ihren Theatertext: “Macht nichts. Eine kleine Trilogie des Todes“,  hatte Schleef schon mit den Proben begonnen. Sein früher Tod hat ihn seine Inszenierung nicht beenden lassen. „Mir kommt kaum ein Wort über die Lippen“, steht als letzter Satz in seinem Tagebuch.

Dieser 5. Band des Tagebuchwerkes von Einar Schleef ist mit einem Nachwort von Johannes Windrich versehen und – sehr nützlich – einem Orts- und Personenverzeichnis.

 

 

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Eva-Hesse
Ich liebe also bin ich
Der unbekannte Pound
 

Eva Hesse ist eine Pound-Kennerin durch und durch. Belesen navigiert sie durch die ganze Breite der philosophischen und literarischen Original-Landschaften, die den Hintergrund für Pounds Werk bilden. Sie entwirft ein detailreiches Bild des hochexplosiven Barden, der an den Anfang seines Studiums die provencalische Liebesdichtung setzte, der sich von Dante, Avicenna, Giordano Bruno und Lichtphilosophen wie Plotin oder Johannes Scotus Eriugena in seinen Cantos inspirieren ließ, und der am Ende das Scheitern seines eigenen Lebensgedichts auf seinen Mangel an mitfühlender Liebe zurückführen muss. Wo Liebe ist, da ist Wahrnehmung, hält er sich, so scheint es, später selbst entgegen.
Als Anhänger von Mussolinis Faschismus hatte er bis zum Einmarsch der US-Armee propagandistische,  antisemitsche Reden im Radio gehalten und persönliche Versuche unternommen, die USA vom Eintritt in den Krieg abzubringen. Seine Hybris schien ihn noch während seines eigenen Martyriums im Bann zu halten, als er in der Anstalt in Washington D.C, wo er bis1958 inhaftiert blieb, an jedem Einzelnen,  das er formuliert hatte, gemessen werden wollte. Seine künstlerische Selbstbehauptung konnte ihm gegen die psychotischen Schübe, denen er  in dieser Zeit ausgesetzt war Halt geben.
In ihrem Buch lässt Eva Hesse wieder und wieder die Ambivalenzen Pounds durchscheinen. Der Mensch, trunken von einem unendlichen Gott, wie es die Metaphysiker beschreiben, steht bei Pound,  redlich vermerkt, aber unbereinigt, schreibt sie, neben dem Menschen mit einem Millimetermaßstab und einem Mikroskop. An anderer Stelle, nun Partei ergreifend, spielt er den Konfuzianismus gegen Buddha und das Tao aus: Ihre Manie: nach dem Entlegenen zu Geilen, / Blind vor dem Ölbaumblatt, /Sichtlos vor den Adern im Eichenlaub. In diesem einseitigen Festhalten am sichtbar Weltlichen, in Pounds Angst vor der metaphysischen Entgrenzung, sieht die Autorin eine defensive Funktion seines Lebensentwurfs, in völligem Gegensatz zu seiner anfängichen Konzeption der großen weltoffenen Erkundungsfahrt, die sie im vorliegenden Buch mit großer Sensibilität nachvollziehbar gemacht hat.

Am Ende des Buches findet man Pounds Canto 36 im englischen Orginal und von der Autorin ins Deutsche übersetzt, ausführliche Literaturbelege und eine dicht gesetzte biografische Zeittafel zu Ezra Pound.

 

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R. Larry Todd
Felix Mendelssohn Bartholdy
Sein Leben und seine Musik
Aus dem Englischen von Helga Best

Todd feiert in dieser mächtigen Biographie den Komponisten und Künstler, den Reisenden, den Gelehrten, dessen Leben vollständig in der Musik aufging. Fünf Jahre nach der Veröffentlichung der englischen Ausgabe liegt sie nun in deutscher Übersetzung vor. Mit knapp 800 Seiten beschreibt die Biographie mit den auf den verschiedensten Ebenen und ins Kleinste recherchierten Details, Text- und Notenzitaten, Schwarzweißporträts und einigen farbigen Tafeln das Lebenswerk eines unserer größten Musiker.
In der streng chronologisch aufgebauten Biographie verwebt Todd nicht nur das musikalische Werk, seine Auftritte, seine Reisen, sein Schaffen als Universalkünstler, e
r geht ebenso dem sich wandelnden Bewusstsein Mendelssohn- Bartholdys hinsichtlich seines religiösen Erbes nach. Er spürt dem immensen Einfluss von Johann Sebastian Bach auf sein Werk nach, bezieht die große Familiengeschichte der Mendelssohns ein, die er in einem Zitat des Vaters, Abraham Mendelssohn, aussagekräftig beleuchtet, der, als wolle er seine Rolle auf die eines Bindegliedes zwischen seinem Vater dem Philosophen Moses Mendelssohn und seinem eigenen Sohn Felix dem großen Musiker und Universal-Genie reduzieren: Früher war ich der Sohn meines Vaters, jetzt bin ich der Vater meines Sohnes. Textstellen aus den überbordenden Korrespondenzen der Familienmitglieder untereinander und mit Personen der schöpferischen Elite der Zeit, eröffnen viele aufschlussreiche Einzelheiten und eine breite, kritische Auseinandersetzung mit seinem Werk.
Die Biographie vernachlässigt selbstredend nicht, in welch enger Beziehung Felix Mendelssohn-Bartholdy zu seiner fünf Jahre älteren Schwester Fanny Hensel, geborene Mendelssohn, sein ganzes Leben lang stand, wie eng verflochten sein Schaffen mit dem ihren war, die sich, als das andere musikalische Wunderkind der Familie, zu einer herausragenden Musikerin entfaltete, doch als Frau – notgedrungen den großbürgerlichen Werten jener Zeit verpflichtet – ihr Talent und ihre volle Schöpferkraft nicht im Rampenlicht öffentlicher Auftritte präsentieren durfte.
Ich habe sein Talent sich Schritt für Schritt entwickeln sehen und selbst gewissermaßen zu seiner Ausbildung beigetragen, er hat keinen musikalischen Ratgeber als mich, auch sendet er nie einen Gedanken auf Papier, ohne ihn mir vorher zur Prüfung vorgelegt zu haben, gibt sie der Biograph wieder. Ihr früher Tod am 3.Februar 1809 lässt die Welt ihres Bruders im Grau versinken. Mit 48 Jahren stirbt er noch im selben Jahr wie seine Schwester.
Ein Werkverzeichnis, ein alphabetisches Personen-, Orts- und Sachregister, ein Register der Notenbeispiele, die im Buch erscheinen, eine Genealogie der Familie
Itzig/Mendelssohn, eine Karte der Reisen Felix Mendelsohn-Bartholdys, das aufgelistete Quellenmaterial und ein ausführliche Literaturliste sind dem Band beigefügt.

 

 

 

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Herzzeit
Ingeborg Bachmann – Paul Celan

Der Briefwechsel
Herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou,
Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann

Selten sieht man zwei Menschen so tief ineinander einbrechen und so zart und behutsam kommunizieren, ohne die Bitternis, die zuerst wie zufällig und dann immer dramatischer aufkeimt, vermeiden zu können. Der überaus tragische Klang der Briefe – oder klingen sie nur so tragisch, weil man den Ausgang kennt? – lädt zum Mitbangen ein, zum Suchen nach Worten und Haltungen, an denen das Ganze scheitern muss. Das Bemühen Ingeborg Bachmanns scheint größer, ihre Briefe länger, ihre Voraussicht weiser. Aber Celan hat es schwer. Angefüllt mit der Ungeheuerlichkeit seines Vernichtungserlebnisses in der galizischen Heimat stößt er im 50er Jahre-Deutschland auf eine Wand aus Ignoranz und Gehässigkeit, die ihn immer neuen Verletzungen ausliefert. Ein Briefwechsel mag nicht jedermanns Sache sein, aber dieser ist anders. Neben ganz kleinen Versuchen zu sprechen begleiten ihn viele nicht abgeschickte Briefe, Gedichte, Widmungen, Einbrüche von Schweigen. Ihre in den 13 Jahren von der ersten Begegnung im Mai 1948 bis zum Abbruch der Kontakte Ende 1961 geschriebenen Briefe kommen aus Wien, München, Zürich oder Rom, seine durchweg aus Paris. Sie beleuchten eine Beziehung, die, in vielem an die großen Liebesdramen der Weltliteratur erinnert, aber sie ist selbst erlebt und in diesen Briefen aufgeschrieben. Das ist einzigartig. Andere Große der Literatur sind Zeugen oder Mitakteure, vor allem Nelly Sachs und Max Frisch. 1970 beendet Paul Celan sein Leben selbst. Ingeborg Bachmann stirbt nur drei Jahre später an den Folgen eines Brandunfalles.
Zwei kürzere Briefwechsel, die zwischen Paul Celan und Max Frisch und Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange, sind angefügt. Die zweite Hälfte des 400-seitigen Bandes füllen Abbildungen, zwei Nachworte, ein Stellenkommentar und die üblichen Register, sowie bibliographische und biographische Hinweise.

 

 

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Jerzy Ficowski
Bruno Schulz. 1892-1942
Ein Künstlerleben in Galizien 

Wie der Dichter am Ostersonntag 1933 von einer Stafette helfender Frauen geleitet, der Schriftstellerin Zofia Nalkowska begegnet, die dann seinem Manuskript mit ihrem Urteil – die sensationellste Entdeckung in unserer Literatur – einen geradezu triumphalen Weg in das Licht der Öffentlichkeit bahnte, gehört zu den schönsten Teilen dieser Lebensbeschreibung. Der Autor selbst nennt sie biographische Informationen und Glossen eines faszinierten Lesers am Rande eines großen Werkes. Ficowski, der vergeblich versucht hatte, Bruno Schulz noch kurz vor dessen Tod – er wurde im November 1942 auf offener Straße von einem SS-Mann erschossen – kennen zu lernen, ist mehr gewesen als ein faszinierter Leser. Er hat das Werk des verehrten und geliebten polnisch-jüdischen Dichters, Graphikers und Zeichners über ein halbes Jahrhundert erforscht, und schildert es voller Empathie und aus großer Nähe. Bruno Schulz verbrachte sein Leben mit Ausnahme weniger Reisen in seinem galizischen Geburtsort Drohobycz, der heute in der westlichen Ukraine liegt. Nach abgebrochenen Architektur- und Kunststudien arbeitete er als Kunstlehrer, ein ungeliebter Beruf, der ihn vom Schreiben und eigenen graphischen und zeichnerischen Arbeiten abhielt. Von schwacher Gesundheit und ungewöhnlich schüchtern und skrupulös war Schulz, um seine Dichtung ins Leben zu bringen, auf die Hilfe guter, zartfühlender Freunde angewiesen. Die Philosophin Debora Vogel, die er über den Schriftsteller Stanislaw Ignacy Witkiewicz kennen lernte, war solch eine Freundin und Geistesverwandte. Sie war die erste und lange Zeit einzige, der Schulz seine mythologischen Erzählungen zu lesen gab. Er schickte sie ihr als Postskripte seiner Briefe nach Lemberg. Es waren die Texte, die ihm das überschwängliche Lob der Nalkowska eintrugen und die später unter dem Titel Zimtläden herauskamen. Darüber hinaus existiert noch ein zweites Buch, Sanatorium zur Todesanzeige, und außer Briefen noch eine Handvoll von Zeitschriftenartikeln. Ein großer Teil des literarischen und bildnerischen Werkes von Bruno Schulz gilt als verschollen. Das letzte Märchen von Bruno Schulz ist der Titel des Schlusskapitel. Es berichtet von der letzten Arbeit des Malers Bruno Schulz, der Innenausmalung einer Drohobyczer Villa. Sie wurde im Februar 2001 von dem deutschen Dokumentarfilmer Benjamin Geissler wiederentdeckt und in seinem Film Bilder finden dokumentiert. Mitarbeiter der Gedenkstätte Yad Vashem stahlen in den darauf folgenden Monaten den größten Teil der Malerei und brachten ihre Beute nach Israel – ein Akt, der nicht nur Juden, Polen und Ukrainer verständnislos und entsetzt zurückließ.

Der 2006 gestorbene Autor dieser Biographie, Jerzy Ficowski, war polnischer Schriftsteller, Übersetzer und Ethnologe. Während der stalinistischen Ära tauchte er, um der polnischen Staatssicherheit zu entgehen, bei wandernden Roma unter. An seinem Begräbnis nahmen neben den öffentlichen Personen aus Staat und Kirche viele Juden und Roma teil. 

 

   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Reiner Stach
Kafka. Die Jahre der Erkenntnis 

Der virtuos erzählende Autor begnügt sich nicht mit der Wiedergabe von Tagebuch- und Briefauskünften. Er nimmt Anteil, erwägt, was gewesen wäre, wenn ... und folgt, wo sich kein Belegmaterial findet, auch seiner Vorstellungsgabe. Etwa Milena Jesenská, die Journalistin, tschechische Übersetzerin und Geliebte Kafkas, die in diesem zweiten Teil der Lebensbeschreibung eine so große Rolle spielt: Ihre Liebesgeschichte zieht sich über drei Kapitel hinweg. Angesichts der präzisen Selbstzeugnisse Kafkas könnte diese epische Breite verwundern, aber das ist alles fesselnd erzählt und, was bedeutsamer ist, es nimmt den Kafkaschen Tagebuch- und Briefdokumenten nichts von ihrer Kraft. Im Gegenteil, die Zitate erscheinen wie sprachlich-seelische Kostbarkeiten, eingebettet in den Gang der Erzählung. Das gilt auch für die anderen Teile dieses Bandes, wie das kuriose und für den Dichter eher unwürdige Gebaren um den Fontane-Preis, die Liebschaft mit Julie Wohryzek, die unter dem Eindruck der Begegnung mit Milena von Kafka erstaunlich routiniert beendet wird, das Ringen um den nicht enden wollenden und nie abgeschickten Brief an den Vater, die Arbeit an Das Schloss, seinem dritten Roman oder die Gemeinschaft der letzten Monate mit Dora Diamant am Rand von Berlin. Mit dem ersten, 2002 erschienenen Band, der Die Jahre der Entscheidung, 1910 bis 1915, schildert und diesem, die letzten acht Jahre, bis zum Tod Kafkas, 1924, behandelnden Werk ist die biographische Unternehmung Reiner Stachs auf etwa 1400 Seiten angewachsen. Auf den dritten, der Kindheit und Jugend des Dichters gewidmeten und lebensgeschichtlich ersten Band, wird der Leser warten müssen bis der in Israel befindliche Nachlass Max Brods zugänglich ist.  

 

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Christoph Jünke
Sozialistisches Strandgut.
Leo Kofler. Leben und Werk (1907-1995)


Die 700 Seiten starke Arbeit – Werkanalyse und politische Biographie – ist einem der führenden kritischen Marxisten des 20. Jahrhunderts gewidmet. Obwohl er diesen seinen kritischen Marxismus in einer Situation weitgehender persönlicher und politischer Isolation, in der tiefsten Nacht des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, sind die Parallelen und Übereinstimmungen gerade zu jener intellektuellen Erneuerungsströmung der 1930er und 1940er Jahre offensichtlich ... ( Ernst Bloch, Max Horkheimer, Herbert Marcuse, Henri Lefebvre,  Jean-Paul Sartre, u.v.a.). Die erste Flucht führte den in Galizien, im österreich-ungarischen Judentum, groß gewordenen mit seiner Familie im Kriegsjahr 1914 nach Wien, ins Rote Wien, in die Stadt Max Adlers, in der der Jugendliche dem Austromarxismus begegnete. 1938 folgte die Emigration in die Schweiz, in ein Leben zwischen Arbeitsdienst und dem nächtlichen Schreiben an Die Wissenschaft von der Gesellschaft, seinem ersten Buch. Nach dem Krieg unterrichtete Leo Kofler als Hochschullehrer in der Ostzone und der frühen DDR bis er 1950, nach wüsten Angriffen der Kaderphilosophen und seinem Austritt aus der SED, erneut flüchten muss. Dazu bemerkt er in seinen autobiographischen Erinnerungen: Es war die eigentliche Tragödie meines Lebens, die sich da abgespielt hat und mich so erschöpft hat, weil ich nur schweren Herzens den Sozialismus verlassen habe. Die Flucht in die Bundesrepublik, in der er als österreichischer Staatsbürger bis zu seinem Tod lebte, führte ihn für lange Zeit in eine neue berufliche und politische Sackgasse. Den Höhepunkt seines Schaffens erlebte Leo Kofler in den 60ern und frühen 70gern und 1972 endlich auch gesellschaftliche Anerkennung. Christoph Jünke würdigt in dieser großen, durchaus kritischen Biographie den marxistischen Soziologen, Historiker und Philosophen besonders als politischen Denker und betont die Vermittlerrolle, die er zwischen alter Arbeiterbewegung und den neuen linken Bewegungen in der Bundesrepublik gespielt hat.

 

 

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  Doris Lessing
Schritte im Schatten
Werkauswahl in Einzelbänden: Bd 3:
Übersetzt von Barbara Christ


Im London der beginnenden 50iger Jahre, in einer kargen, vor dem Clearing Act noch mit schwarzen Nebeln verhangenen Nachkriegs-Tristesse, galt Doris Lessing, alleinstehend mit Kind und gerade aus Rhodesien angekommen, als die Exotin schlechthin. Kurz zuvor war ihr Roman Afrikanische Tragödie, eine Kritik an der rassistischen Politik Südafrikas veröffentlicht worden, und bald gehörte sie zum kulturellen Kreis kommunistischer Intellektueller. So steht in Schritte im Schatten, im Unterschied zu ihrem ersten autobiographischen Buch Unter der Haut, das ihre Kindheit beschreibt, eine junge, die damaligen Normen sprengende Frau im Mittelpunkt, sozial-politisch engagiert, lebensbejahend, beflügelt und kreativ. Ihre Erinnerungen spiegeln das Lebensgefühl einer ganzen Generation wider. Man glaubte den Kapitalismus schon überwunden, man wollte Gerechtigkeit und Gleichheit für alle, sofort; die sexuelle Revolution begann sich zu regen, die Rechte der Frauen kamen ins Spiel. Es wurde viel getrunken, viel geraucht, alle wechselten die Liebhaber etwas häufig. Doris Lessing scheint überall in der ersten Reihe dabei gewesen zu sein und sich gleichzeitig den Kritiken der unterschiedlichsten Seiten ausgesetzt zu haben. Viele Szenen aus dieser Zeit sind einerseits sehr intim gezeichnet, andererseits nimmt sie die Position der differenzierenden Beobachterin ihres eigenen Lebens ein, manchmal scharfsinnig, manchmal mit schierem Witz, nie sentimental.
Es ist diese besondere Art des Rückblicks in der Erzählkunst der Grande Dame der Englischen Literatur, die den Band zu einem wirklichen Lesevergnügen werden lässt.
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  Gunna Wendt
Franziska zu Reventlow
Die anmutige Rebellin

Sie war eine wirkliche Hasardeurin ihrer Zeit. Als Kind wollte sie sich dem Teufel verschreiben, nur um frei zu sein und aus der Enge eines bürgerlich-aristokratischen Elternhauses des ausgehenden 19. Jahrhunderts auszubrechen. Ihre Flucht als junge Frau schnitt jäh alle Bindungen zu ihrer Familie ab. Später in der Aufgewühltheit ihres Lebens, den Höhen und Tiefen ihrer durch wirtschaftliche Nöte immer wieder gebremsten Kreativität, wurde das elterliche Schloss bei Husum zum Sehnsuchtsort schlechthin. Um sich die Freiheit des Berufes einer Schriftstellerin leisten zu können tingelte sie von einem bizarren Lebenserwerb zum anderen, lebte in Partnerschaften, Ehen und libertären Liebesbeziehungen, die zwischen Enthusiasmus und Notwendigkeiten alle Konventionen hinter sich ließen. Im Schwabing des beginnenden 20. Jahrhunderts, im Kreis seiner Bohème, zog sie mit ihrem kleinen Sohn in eine experimentelle Wohngemeinschaft und schrieb ihren autobiografischen Roman Ellen Olestjerne. Rilke – einer ihrer guten Geister in München – besprach in der Zukunft diesen Erstling mit viel Lob. Nach dem Umzug in das Ascona der Kosmopoliten und Sinnsucher, wirbelte ihr abenteuerliches Leben weiter: ein Versuch durch eine Scheinehe mit einem russischen Baron einen gesicherten Lebensunterhalt zu erlangen, die Rettung des desertierten Sohns über die Grenze in die Schweiz, die Schriftstellerei in einem alten Vogelsteller-Turm am Monte Veritàs. Mit 47 starb sie an Herzversagen in einer Klinik in Locarno. So wie Gunna Wendt das Leben von Franziska zu Reventlow ausbreitet, glaubt der Leser, dass sie betagt gestorben sein müsste. Doch sie scheint nur drei mal so schnell, drei mal so intensiv, und mit um Vieles mehr an Kraft gelebt zu haben als eine durchschnittliche Frau ihrer Zeit und ihrer Herkunft, die sie nie werden wollte und die sie nicht geworden ist.
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  Klaus Wagenbach
Franz Kafka
Bilder aus seinem Leben


Was ist spannend im Leben eines Menschen? Wendepunkte, Augenblicke des Glückes, Niederlagen? Klaus Wagenbach, nach eigenem Bekunden Kafkas dienstälteste lebende Witwe, plaudert entlang der in fünf Jahrzehnten zusammengetragenen Zeugnisse aus dem Leben des Dichters, darunter Pass- und Familienfotos, Postkarten, Zeitungsartikel, Veranstaltungsplakate, Reklameschilder, Anzeigen, Dokumente, Tagebuchseiten, Zeichnungen, Skizzen, Alltagsgegenstände und immer wieder Prager Szenen und Ansichten. Im Mittelpunkt dieser in dritter, veränderter und erweiterter Neuauflage erscheinenden Bildbiografie stehen die schwierige Heimatstadt Prag, das Wendejahr 1912, das Gewicht der Jugend, Kafkas Alltag im Büro und den von ihm besuchten Fabriken und seine Bücher – wann welche Werke entstanden, in welchem Alter und welcher Lebenssituation. Verflochten mit diesen Themen erscheinen die Menschen, die Kafkas Lebensweg begleiteten oder kreuzten, die Lieblingschwester Ottla, seine Verlobten Felice Bauer und Julie Wohryzek, Minze Eisner, seine Tschechisch-Übersetzerin Milena Jesenská, Dora Diamant, mit der er die letzten Monate seines Lebens in Berlin verbrachte und natürlich Max Brod oder Jizchak Löwy und Robert Klopstock.

 

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  Dominique Laure Miermont
Annemarie Schwarzenbach.
Eine beflügelte Ungeduld.

Biographie
Aus dem Französischen von Susanne Wittek
Erschienen im Ammann-Verlag, Zürich.

Von ihrer Schönheit und ihrem Wesen waren viele hoffnungslos angezogen. Klaus Mann nannte Annemarie Schwarzenbach einen „untröstlichen  Engel.“ Mit ihrem kosmopolitischen Intellekt und ihrer sozialen Empfindsamkeit vermochte sie, als weltreisende Journalistin, Schriftstellerin und Fotografin, Verlage und Publikum für sich einzunehmen. Ihre spirituelle Sehnsucht nach Einheit und ihre Suche nach Wissen um das Mysterium der Welt, berührte ihre innigsten Freundinnen und Freunde. Anhand der Zeugnisse aus den Büchern, Essays und Tagebüchern Annemarie Schwarzenbachs und den noch vorhandenen Korrespondenzen und Berichten ihrer vielen Freundinnen und Weggefährten entfaltet D. L. Miermont Kapitel für Kapitel das exotische Leben einer Reisenden mit ihren inneren und äußeren Zwängen und Dualismen in allen Stationen ihres Lebens. Es ist das Ringen einer talentierten Frau mit dem Sein, die in dieser Welt nie richtig heimisch wurde. Mehr als dreißig Fotos, die Annemarie Schwarzenbach oder sie zusammen mit Freundinnen oder Freunden zeigen und in die Biographie eingefügt sind, steigern die Ausstrahlung dieses Berichtes über ein außergewöhnliches Leben.

                                                                   ganze Buchbesprechung

 
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  Wole Soyinka
Brich auf in früher Dämmerung:
Erinnerungen

Übersetzt aus dem Englischen von Inge Uffelmann
Ammann-Verlag, Zürich (Meridiane)

Wie ein Geschichtenerzähler aus nuanciertem Blickwinkel, erinnert Wole Soyinka die politische Chronik Nigerias in seiner eigenen Biographie. Das über 700 Seiten lange Epos vom Kampf um Demokratie und Humanismus enthüllt den politischen Soyinka, seine Teilnahme an gewaltlosen Protestaktionen, seine Rolle als geheimer diplomatischer Unterhändler - auch über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus -, die Stationen seines Exils und seinen Widerstand gegen Sani Abacha, den blutigsten in der langen Reihe nigerianischer Diktatoren. Als Soyinka, vor Abacha fliehend, das Nachbarland erreicht hat, verfasst er im Geiste ein ungewöhnliches Testament: Sollte ich außerhalb der Grenzen meines Landes sterben, so begrabt mich in jenem fremden Land, in dem ich mein Leben aushauchte – solange Sani Abacha zum Zeitpunkt meines Todes noch immer rittlings auf dieser Nation hockt! Wie schwerwiegend dieser Satz für Soyinka war, kann der Leser leicht nachvollziehen, wenn er in einem der ersten Kapitel seiner Erinnerungen liest, mit welcher Rastlosigkeit er einen toten Landsmann und sehr engen Freund aus der fremden, deutschen Erde zu seiner letzten Ruhestätte nach Nigeria heimholt. Für den, vor den Augen der Welt, gemordeten Ken Saro-Wiwa verfasst er das Kapitel „Requiem für einen Ökokämpfer“ und sieht sich dabei nicht zum ersten Mal mit dem Paradoxon Oguns konfrontiert, der Yoruba-Gottheit, die gleichzeitig die Rastlosigkeit der Straße und der kreativen Einsamkeit, den Ruf des Lyrischen und den des Kampfes symbolisiert. Und doch behält Soyinka seinen spitzbübischen Humor, den er in vielen Anekdoten, wie die über die Freuden und Leiden eines Nobelpreisträgers rund um den Globus zum Besten geben kann. Eine packende Chronik von einem großen Dichter, die uns Europäern einen Zugang zu afrikanischer Geschichte vermittelt, wie wir sie gerne auch für die Geschichte vor unserer Tür lesen würden.

 

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Literatur in Berlin: www.literarisches-berlin.de  © 2008-2011 yuba edition / Brigitte Pross-Klappoth (Berlin)
 Fotos © B.Pross-Klappoth (wenn nicht anders angegeben)
 Stand: 26. Dezember 2020