Gernot Wimmer (Hg.)
Ingeborg Bachmann und Paul Celan.
Historisch-poetische Korrelationen
De Gruyter, 2014
Paul Celans Dichten und Leben mit den Toten des Holocaust hat die
deutsche Literaturgemeinde schon früh provoziert, genervt und verärgert.
Anders als viele deutsche Juden, die, wohl ahnend, welches Maß an Ärger
und Zurückweisung ihnen entgegenschlagen würde, sich nach dem Krieg
nicht als solche zu erkennen gegeben haben, sah der staatenlose,
deutschsprachige Dichter aus Czernowitz, der beide Eltern im KZ verloren
und selbst einen Lageraufenthalt überlebt hatte, keine Möglichkeit der
Selbstverleugnung. Der 2008 unter dem Titel Herzzeit, einer Celan’schen
Wortbildung, veröffentlichte Briefwechsel mit der Dichterin und
Geliebten Ingeborg Bachmann (1926-73), auf den sich die hier vorgelegte
Aufsatzsammlung bezieht, offenbart auf dramatische Weise den in gleichem
Maße selbstgewählten wie ererbten Erinnerungsauftrag Paul Celans
(1920-1970), das Totengedächtnis, das noch in den intimsten
Liebesbegegnungen seinen Vorrang behauptet.
Die Zeugenschaft Celans ist unausweislich und unmittelbar. Jedem seiner
Gedichte ist „der 20. Jänner eingeschrieben“, das Datum der
Wannseekonferenz, auf der, 1942, der Holocaust organisiert wurde. Er
trennt nicht zwischen seiner Person und seiner Dichtung; nicht zwischen
sich und den Toten, wie ein Text aus dem Nachlass offenbart: „Wieso
verschwunden? Die Toten: hast du denn kein Gedächtnis, in dem du sie
aufbewahrst, in dem sie dir gegenwärtig bleiben, redend und schweigend,
zu dir stehend und wider dich, Treue übend und Verrat, umworben und
gemieden, nah und fern und überall auf den Wegen und Stegen zwischen
Fern und Nah? …“ Diese Aufbewahrung der Toten ist vermutlich das genaue
Gegenteil dessen, wonach dem deutschen Publikum der Sinn stand und
liefert den Dichter neuen Verletzungen und Enttäuschungen aus. Vorwürfe
wie Überempfindlichkeit und ein Hang zur Selbstinszenierung beantwortet
Celan mit bitterer Kritik, etwa an „Schriftstellern und Dichtern, die
ich für Menschen hielt“.
Auch Ingeborg Bachmann, die Celan einmal als „Rechtfertigung seines
Sprechens“ bezeichnet hatte und deren biographische Daten – eine „auf
dem westdeutschen Buchmarkt erfolgreiche Autorin mit österreichischer
Gewissenslast“ – geradezu gegensätzlich sind, bekommt die Bitternis und
Verletzlichkeit des Geliebten zu spüren. In einem, in Herzzeit
veröffentlichten, 1961 an Celan adressierten Brief, den sie nie
abgeschickt hat, zeigt sich eine erschöpfte und vorwurfsvolle Frau, die
nicht mehr bereit zu sein scheint, die Last der Gemeinsamkeit zu tragen.
Der Brief steht nun nicht als Dokument des Scheiterns einer
leidenschaftlich-verzweifelten Dichterliebe im Zentrum der Befassung,
sondern wird von Kritikern und Kommentatoren offenbar als Abrechnung
Bachmanns mit Celan ausdrücklich begrüßt. Diese Tendenz, das Leiden der
Nichtjuden am Juden den Opfern und ihren Nachfahren entgegenzuhalten,
wie es schon Martin Walser in seiner Frankfurter Rede zur
Friedenspreisverleihung des Deutschen Buchhandels, 1998, in einer
populistischen Eingebung meinte ausdrücken zu müssen, und wie es sich
bei Günter Grass, dem Celan-Freund aus Pariser Tagen, fortsetzt, der
sich beim späten Veröffentlichen seiner SS-Mitgliedschaft, 2006,
ebenfalls in einer Opferrolle gewähnt haben mag, hat alte Wurzeln und
hält bis heute an.
Die Rezeption des Briefwechsels in der literarischen Öffentlichkeit
gehört zu den ergebnisreichsten Untersuchungen des vorliegenden,
200-seitigen Bandes. In elf Aufsätzen, die unter drei Gesichtspunkten –
Lebensweltliches als Sozialgeschichte, Überlegungen zu poetologischen
Kategorien, Interpretation von Auswahlgedichten – vorgestellt werden,
werten die Autoren das seit 2008 zugängliche biographische Material aus
und beziehen es auf konkrete Werksituationen. (ak)
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