Peter Handke
Vor der Baumschattenwand nachts
Zeichen und Anflüge von der Peripherie 2007-2015
Verlag
Jung und Jung, 2016
Es ist wunderbar mit welch ernster Gelassenheit es dem Dichter gelingt, aus dem Dunkel seiner nächtlichen Baumschattenwand so viel neugierig machendes Material ins Licht zu heben: Laute und Bilder, Träume und Plaudereien, Nachdenklichkeiten und Gewissheiten. Es sind, wie der Untertitel verrät,
Zeichen und Anflüge, also Geschenke, die nur als solche erkannt und angenommen werden müssen. Peripherie bedeutet für Handke die ihn umgebende Natur mit ihrer enormen Inspirationskraft sowie seine literarische Umwelt, mit deren Autoren und Werken er sich in ständigem Gespräch befindet.
Die Vögel sind die prominentesten seiner Naturgestalten. Dem Himmelaufsteigen der Lerchen findet Handke ein eigenes Verb, sie
twittern. Dieses Finden neuer Verben ist eine durchgängige Übung, wie das Suchen nach Unvergleichlichem, etwa den Geisblattblüten, die sich von allen Blüten am meisten nach hinten biegen oder dem Suchen nach immer neuen 11. Geboten. Selbst die Hörfreuden gelten, obwohl von ihren Heroen, von Bob Dylan oder Neil Young die Rede ist, weniger der Musik sondern den elementaren Stimmen, dem Wind, dem Wasser, dem Feuer oder eben dem Rauschen der Flügel. Die Natur wahrzunehmen heißt für Handke in ihr anzukommen. So ist eine von seinen
„Ganz-da!“-Vorstellungen oft mit Regen, auch mit Schnee verbunden. Ein Alltagsgestus des Dichters ist der
sich freundlich gehende Spaziergänger, eine Werkmaxime das sich Versenken ins Land – und daraus
aufsteigen.
Kaum zu zählen sind die Schriftsteller und ihre Werke, die Handke anführt, denen er sich verbindet, über die er nachsinnt. Christine Lavant, Juan de la Cruz, Antonio Machado, John Cheever, den er über mehrere Seiten begleitet, Isaak Babel und Adalbert Stifter sind nur einige davon, und natürlich Goethe, der –
alles an ihm, um ihn herum, geht mich an (so oder so) – in dem Buch omnipräsent ist. Zusammen mit den häufig zitierten Sufi-Dichtern und den Hadith-Zitaten entsteht so etwas wie eine Fortsetzung von Goethes West-Östlichem Diwan. Eine Handkesche Zutat
dazu ist das Paradoxon Liebe: Außer mir, bin ich ganz bei mir. Er widmet es Ibn al-Fārid, dem „Fürst der Liebenden“ genannten arabischen Dichter.
Nur wenig Kritisches über Lärmer, Undankbare und Nur-Poeten und kaum Bekenntnishaftes ist auf den gut 400 Seiten zu finden, stattdessen ein fortgesetztes Beobachten, Erwägen, Nachhorchen und Einsammeln von Fundstücken. Dazu zählen auch die beigefügten kleinen Buntstiftszeichnungen oder die herrlichen, von Handke „Anderer Haiku“ genannten Zeilen:
Altwerden / Das Schlurfen beginnt / Gib acht!
(ak)
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