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Hermann Hesse
Ich bin ein Mensch des Werdens und der Wandlungen
Die Briefe 1924 - 1932

Herausgegeben von Volker Michels

 
Suhrkamp Verlag,, 2017
 

Die Briefe, die Hermann Hesse zwischen seinem 47sten und seinem 55sten Lebensjahr verfasste, spiegeln eine tiefe körperliche und psychische Krise wider. Im Mai 1925 schreibt er über die Tristesse seines Aufenthalts in Basel, über die enge Bude, das Essen in Wirtshäusern, über das, was die Eheverhältnisse mit der jungen Sopranisten Ruth Wenger mit sich bringen: Und wenn es mich nicht fröre und ich nicht auf den Hund gekommen wäre, könnte ich das kleine Buch jetzt schreiben, das mir diesen Winter in Basel eingefallen ist ... stattdessen tue ich wieder einmal Kärrnerarbeit und gebe alte Dichter heraus, so daß es nicht am Opium der Arbeit fehlt. Er thematisiert diesen desolaten Zustand in den Briefwechseln mit Dichterkollegen und Freunden, wieder und wieder, auch wenn viele dazu diplomatisch schweigen oder versuchen, ihn von seiner Resignation abzubringen. Und doch vermag er diese innere Zerrissenheit und seine seelischen Spannungen gegen die Umwelt zum Gegenstand seiner Dichtung zu machen und in dieser Zeitspanne, mit neuen Imaginationen und zunehmend wiedergewonnener Kreativität, drei seiner literarischen Hauptwerke zu schaffen.
In einem emotionalen Ausbruchsversuch aus dieser Krise - einer Art psychiatrischen Aufarbeitung,  vor allem der tief absorbierten pietistischen Moraldogmen seines Elternhauses - zieht Hesse mit seinem Freund Joseph Bernhardt Lang durch die Kneipen im Zürcher Niederdorf.
Diese Welt einer gewissen Hingegebenheit an das Außen, an Geselligkeit, Trinken, Tanzen und Frauen ... ist der Boden auf dem der Steppenwolf wächst, schreibt er im Frühjahr 1926 an Nino Dolbin, die später seine dritte Ehefrau wird. Für ihn melden sich Lebenswille, Geschlecht und  Begierde als  Gegenwelle zu seinem zurückgezogenen Leben.  Im Steppenwolf, der zwei Jahre später im Samuel Fischer Verlag erscheint, verdichtet er diese inneren Bilder und Erfahrungen, aber erst in den 1960iger Jahren wird das Buch  von einer großen,  internationalen Leserschaft wirklich entdeckt, begeistert gefeiert und frei interpretiert und gelebt. Der Dichter lebt nicht davon, daß er den Lesern hübsche Sachen vorflötet, sondern einzig davon, daß er durch die Magie des Worts sein eigenes Wesen und Erleben sich selber zeigt und deutet, sei es hübsch oder häßlich, gut oder böse. schreibt er 1927 als Antwort auf einen kritischen Brief von Helen Welti.  Hesses  ungewöhnliche Geistigkeit" und eine ungewöhnliche Sinneskraft, wären sich spinnefeind gewesen, schrieb Hugo Ball über den Freund in seiner Hesse-Biografie. Dieses archaische Spannungsverhältnis lässt Hesse die Figuren Narziß und Goldmund  in seiner neuen Erzählung verkörpern, worin er wieder sein inneres Erleben und seine Wandlungen zum Sujet eines Romans macht.
Wie sehr er mit dem Leben, dem Sinn und seiner Wahrhaftigkeit rang, verdeutlichen viele seiner Briefe an Dichterkollegen, Freunde, Verwandte oder anonyme Leser seiner Bücher, die in ihrer harschen Authentizität nicht immer verstanden werden konnten. Hesse will sich nicht mit dem gemein machen, was er an dem Kunst- und Kulturbetrieb dieser, von
Krieg, Technik, Geldrausch, Nationalismus zerrütteten Zeit so sehr ablehnt.
Er tritt zum ausdrücklichen Bedauern Thomas Manns als Präsident der Akademie der Künste zurück, eine Mitgliedschaft im Pen-Club nimmt er nicht an, weil dessen  Strukturen denen eines
„industriellen Verwaltungsrates glichen, wie er Kurt Tucholsky schreibt und eine Anfrage der Deutschen Buch Gemeinschaft nach einem Beitrag zu Martin Luther lehnt er ebenfalls ab: Es käme nichts Erfreuliches dabei heraus, denn Luther habe den Fürsten assistiert, die Bauern im Stich gelassen, das Schisma und den 30jährigen Krieg verursacht und sei zudem ein übler Antisemit gewesen.
Auch in seinem privaten Leben hadert Hesse mit bourgeoisem Gehabe. Seiner Schwester Adele  berichtet er über den Weihnachtstag, 1932, mit Nino Hesse in seinem neu bezogenen Haus in Montagnola. Alles sei
zu hübsch,  er möchte keine Dienstboten vor, mit Geschenken überladenen, Tischen stehen haben, "für die man 14 Tage vorher sich nervös gesorgt hat. Und, dass er an den alten Tolstoi dabei dachte, der sein Leben lang aus den gedeckten Tischen und den wohlhabenden Manieren nicht herauskam und im Greisenalter heimlich weglief, um wenigstens draußen auf der Landstraße zu sterben.
1924 hatte Hesse geschrieben, die Magie läge darin, von der Zeit und der Außenwelt unbeeindruckt, in dem zu leben, was schön, lebendig und heilig scheint. Nun verfasst er Anfang der 1930er Jahre, wie  aus einer geistigen Notwendigkeit heraus, die Erzählung  Die Morgenlandfahrt, worin sich, wie er in einem Brief an die Literaturwissenschaftlerin Anni Rebenwurzel betont, der Versuch eines
Magischen Theaters verdichtet habe, um einer unsäglich geistlosen Zeit, das Zeitlose vor Augen zu stellen. Es würde wenig verstanden, notiert er kurz auf einer Postkarte an Martin Buber, mit einem Dank für dessen gute Aufnahme des Buches. Tatsächlich scheint sich diese trans-temporale Utopie der Morgenlandfahrt den meisten Interpretationsideen zu entziehen. Auch Hesses eigene Anmerkungen und Deutungen dazu sind auf den unterschiedlichsten Ebenen angelegt. Der Leser bräuchte die Symbolik nicht verstehen, nicht erklären, er solle die Bilder und ihren Sinn allein in sich hineinlassen. Angesichts der Schmähungen von Hitleranhängern gegen ihn, fragt er in einem Brief im Mai 1932 an Karl Maria Zwissler rhetorisch, was würde Leo", die Hauptfigur der Morgenlandfahrt, tun und sagen?. Er würde schweigen und lächeln und sich bemühen die Schweinerei in der Welt durch ein kleines Plus an Schweigen, Lächeln, an Wohlwollen und Ruhe etwas zu vermindern. (bpk) 


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 Fotos © B.Pross-Klappoth (wenn nicht anders angegeben)
 Stand: 12. Juli 2017