Denis Bertholet
Paul Valéry – Die
Biographie
Aus dem Französischen von Bernd Schwibs und Achim Russer
Insel Verlag, 2011
Die Eckdaten im Leben des Lyrikers Paul Valéry sind mit drei Kriegen
verbunden. 1871 in der Küstenstadt Sète geboren, dem Jahr des
preußischen Triumphes über Frankreich, erlebt er in der Blüte seiner
Jahre den 1. Weltkrieg und gerade mal einen Monat nach der Kapitulation
der Deutschen und ein Jahr nach der Befreiung stirbt er im Juni 1945 in
der französischen Hauptstadt.
Aus einer italienisch-korsischen Fischerfamilie stammend, ist das Meer
die Hauptinspiration des jungen Dichters. Der Hafen, die Schiffe mit
ihren Takelagen, das Meeresklima, der durch Valérys Gedicht berühmt
gewordene Cimetière marin , und auch die modernen, eine heroische
Zukunft verheißenden Panzerboote der französischen Marine sind Teil
dieser Begeisterung.
Die von Denis Bertholet verfasste Biographie des Dichters, der auch als
einer der wichtigsten philosophischen Schriftsteller des 20.
Jahrhunderts gilt, ist in ihrer Übersetzung das erste ausführliche Werk
zu Valéry in deutscher Sprache. Der Autor, ganz unparteiischer Chronist,
gibt der Faktizität den Vorrang. Er entfaltet anhand von
Selbstzeugnissen, Kommentaren, Briefen und Erinnerungen von Verwandten,
Freunden und Kollegen einen dennoch sehr empathischen Blick auf die
Person Paul Valérys und verfasst so eine, wie Valéry es ausdrücken
würde, Erzählung seines Lebens.
Der unerschrockene, vor Neugier strotzende Junge wird zum sensiblen
Jugendlichen, der unter seinen autoritären Lehrern leidet und dem es
graust vor den harschen Ritualen des körperlichen Wettkampfes in der
erzwungenen Soldatenzeit. Später wird er diese Zeit als Versklavung
bezeichnen und bekennen: „Für mich liegt das Vaterland nicht zwischen
den Falten einer Fahne, noch ist es ein begrenztes Stück Land; mein
Vaterland, das sind meine Gedanken, meine Träume, und meine Landsleute
sind die, die sie mit mir teilen.“
Die scheinbare Flucht in die Fantasiewelt der Literatur – er bewundert
Autoren wie Leonardo Da Vinci, Arthur Rimbaud, Edgar Allen Poe und
besonders seinen langjährigen Freund Stéphane Mallarmé – erweist sich
bei Valéry als Suche nach dem Absoluten, geradezu als Epistemologie.
So sieht er jede Erzählung Gefahr laufen, nur die sichtbare Schaumkrone,
das Glänzend-Blendende der Existenz aufzuzeigen. Sein Schreiben ist
dementsprechend von dem Gedanken beseelt, hinter dem „personalen Ich“,
der Summe aus Vererbung, Erinnerungen und Gewohnheiten, das „höhere
Ich“, den von der Flüchtigkeit der Ereignisse unveränderbaren Grund zu
finden.
Der 660 Seiten starke Band lässt in schöner Sprache die Faszination für
einen Ausnahmekünstler aufleben und ohne sich davor zu scheuen,
Widersprüche und Fragezeichen einfach stehen zu lassen, bietet er einen
Schlüssel für den Zugang zum literarischen Schaffen des großen Dichters
an.
(hkl)
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