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Ich will Zeugnis
ablegen bis zum letzten.

Tagebücher 1933 - 1945. 2 Bände

Victor Klemperer

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Erich Mühsam

Tagebücher.
Band 1, 1910-1911


 


Verbrecher-Verlag, 2011
 

„Immer halb Flucht, halb Grenzüberschreitung“ – so beschreibt der Herausgeber Chris Hirte das Leben des berühmten Anarchisten. Erich Mühsam (1878-1934) selbst, Opfer der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und privat immer in Geldnot macht sich diese Zuschreibung nicht zu eigen, kämpft vielmehr zeit seines Lebens gegen diese scheinbar schicksalhafte Rollenzumutung an. Mit unerschütterlicher Beharrlichkeit glaubte er an den Weltwandel, der den freien Menschen hervorbringen sollte. Seinen Beitrag sah er in der Aufrüttelung der Massen, in der Anstachelung zur Revolution und als seine künstlerisch-schriftstellerischen Aufrufe keine revolutionäre Breitenwirkung entfachten, wurde die kompromisslose Umsetzung der anarchistischen Lebensutopie im eigenen Leben sein wichtigstes Ziel.
Das Tagebuchschreiben wurde dabei zum Akt der Selbstprüfung. Mühsams Anspruch politisch in Augenhöhe mit den wilhelminischen Autoritäten zu ringen, begründete sich aus eben dieser aufrichtigen Lebensweise, die auch den offenen Umgang mit eigenen Lastern oder persönlichen Ungereimtheiten einschließt.
Dieser erste Band berichtet im Plauderton von zahlreichen Liebschaften und lässt, ohne vulgär zu werden, kein intimes Detail aus. Die Auseinandersetzung mit der Familie, die sich sträubt den aus der Art gefallenen Sohn finanziell zu unterstützen, die zahlreichen Freunde, Kollegen, Künstler und Schmarotzer, mit denen er sich austauscht, von denen er Geld leiht, das er wieder verleiht und die politischen Prozesse gegen die Anarchisten zeichnen das Soziogramm einer verkrusteten bürgerlichen Gesellschaft in der eine mehr oder minder gerichtete Aufbruchstimmung Raum greift. Mühsams durch Leidenschaft und Gefühl bestimmtes Handeln lässt ihn sich mit den Ausgestoßenen, den Armen, den Prostituierten und den Verbrechern solidarisieren, und auch gegen alle praktische Vernunft lebt er vor, was er gesellschaftlich zu erreichen sucht. Ob unnachgiebig-prinzipientreu oder hedonistisch-ausgelassen, Mühsam trachtet immer nach Freiheit.
Von 1910 bis zur Entlassung aus fünfeinhalb jähriger Haft 1924, die ihm sein Engagement für die Münchener Räterepublik eingetragen hatte, dokumentieren die Tagebücher in 42 Heften auf ca. 7000 Seiten sowohl die Person, den Alltag, den Witz, die Selbstironie, den Feuereifer und die Tragik des anarchistischen Vorkämpfers, als auch vierzehn Jahre deutscher Politik im Umfeld des Ersten Weltkrieges. Dieser erste der auf fünfzehn Bände angelegten Gesamtedition der Tagebücher wird von der Internet-Seite www.muehsam-tagebücher.de begleitet, auf der das handschriftliche Original eingesehen werden kann und ein mit den Bänden wachsendes Namensregister und eine Suchfunktion das gezielte Durchforsten der Jahrhundertedition ermöglicht.  
(hkl)

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Literatur in Berlin: www.literarisches-berlin.de  © 2008 yuba edition / Brigitte Pross-Klappoth (Berlin)
 Fotos © B.Pross-Klappoth (wenn nicht anders angegeben)
 Stand: 17. Januar 2012