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Rainer Schmitz (Hg.)

Henriette Herz
In Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen




Die Andere Bibliothek, 2013


Von Schloß Langeweile pflegte Alexander von Humboldt seine Briefe aus Tegel an Henriette Herz (1764-1847) abzusenden. Allerdings nur die in hebräisch verfassten, eine Sprache in die er, wie auch sein Bruder, von der großen Salonnière selbst eingeführt worden war und die Unbefugten gegenüber verbergen sollte, dass man sich in der Gesellschaft jüdischer Frauen besser unterhielt als auf dem Schlosse der Väter. Im Gegensatz zum Hofadel mit seinem kalten, steifen Formenwesen und seinen Pleureusenmenschen waren Zwanglosigkeit und Offenheit in den jüdischen Häusern die ureigenste Bedingung einer neuen Geselligkeit.
Ihre wichtigsten Bildungs- und Beschäftigungsimpulse erhielt die vornehmlich jüdische Salonkultur in Berlin von dem Philosophen Moses Mendelssohn, ob sie persönlich inspiriert waren oder vermittelt durch die von ihm zusammen mit Friedrich Nicolai und Gotthold Ephraim Lessing veröffentlichte Zeitschrift Briefe, die neueste Literatur betreffend. So war es kaum ein Zufall, dass eine der ersten Lesegesellschaften im Hause Dorothea Veits stattfand, der Tochter Mendelssohns und der späteren Gattin Friedrich Schlegels. Zu den wenigen Nicht-Juden, die in ihr Haus einluden, gehörte Nicolai, „aber ein eigentliches Haus“, so die Herz, „machte auch Nicolai nicht.“
In mancher Hinsicht mag die gesellschaftliche Funktion der Salons der unserer heutigen Talk-Kultur entsprechen. Neben zeitgeschichtlichen und literarischen Themen, etwa dem Lesen mit verteilten Rollen oder privaten Theateraufführungen, bestimmte der in Tagebüchern, Briefen und Billets kommunizierte kultivierte, zuweilen auch grobe Gesellschaftsklatsch – Schiller über Frau von Staël: „Aber hätte denn selber ein Geselle des Satans mit der zu schaffen haben mögen?“ – die Salongespräche. Die Attraktivität ihres Salons beurteilt Henriette Herz selbstbewusst „Herz [ihr Ehemann] zog durch seinen Geist und als berühmter Arzt die Leute an sich, ich durch meine Schönheit und durch den Sinn, den ich für alles Wissenschaftliche hatte …“.
Ein Hauch von Tragik umgibt die späten Jahre der kinderlosen, frühverwitweten Salonnière. Ihre materielle Situation ist nicht rosig und die meisten ihrer engen Freunde, Wilhelm von Humboldt, Friedrich Schleiermacher, Ludwig Börne, die Gebrüder Schlegel, Dorothea Schlegel, Rahel Varnhagen sind lange vor ihr gestorben. Rührend ist ihr wortreicher, sich über mehrere Briefe hinziehender Versuch, ein drohendes Zerwürfnis mit dem Altphilologen Immanuel Becker abzuwenden. Die Schweigsamkeit des Gelehrten galt als sprichwörtlich und wurde von Friedrich Schleiermacher mit dem Satz, „Er schweigt in sieben Sprachen“, karikiert. Kritische Männerstimmen, u.a. auch die Wilhelm von Humboldts, bescheinigen der von den Berlinern die tragische Muse genannten Henriette Herz im Alter Harmlosigkeit und fehlenden Witz: „Sie galt für höchst klar und klug, obschon sie nicht für witzig galt. Wer aber in Berlin nicht witzig ist, über den sind es Andere …“ Ein ausgesprochen schönes Porträt stammt von der Schriftstellerin Fanny Lewald, die nach der Revolution von 1848 in Berlin einen einflussreichen politisch-literarischen Salon führte und der gealterten Hofrätin erst in ihren 70ern begegnete.

Der sparsam bebilderte Band, der als Nr. 347 in Die Andere Bibliothek erscheint, verfügt über einen umfangreichen Apparat mit wertvollen, ausführlichen Anmerkungen, einem nahezu 50 seitigen Nachwort und einem kommentierten Personenverzeichnis.  (ak)

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Literatur in Berlin: www.literarisches-berlin.de  © 2008-2013 yuba edition / Brigitte Pross-Klappoth (Berlin)
 Fotos © B.Pross-Klappoth (wenn nicht anders angegeben)
 Stand: 28. März 2014