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Der Buddhismus des Reinen Landes
 
Aus der chinesischen und der japanischen Tradition 
Verlag der Weltreligionen
  im  Insel Verlag 2015

Navid Kermani
Zwischen Koran
 und Kafka
West-östliche Erkundungen
C.H.Beck, 2015



Jingde chuandeng lu Aufzeichnungen von der Übertragung 
der Leuchte 
aus der Ära Jingde 
Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, 2014



Hildegard Elisabeth Keller (Hrsg.)
Der Ozean im Fingerhut
Hildegard von Bingen, Mechthid von Magdeburg,
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Herder Handbuch  

David Bartosch 

Wissendes Nichtwissen oder Gutes Wissen?

Zum philosophischen Denken 
von Nicolaus Cusanus und Wáng Yángmíng




Wilhelm Fink-Verlag, 2015


David Bartosch entfaltet die Lehren der zwei frühneuzeitlichen Philosophen, Nikolaus von Cues, oder Cusanus und Wáng Shouren, auch bekannt als Wáng Yángmíng in einem umfangreichen und zugleich, wie der Titel bereits andeutet, sehr zugespitzten philosophischen Vergleich. Beiden Gelehrten, denen die Stellung ihrer Väter zu einer außerordentlich umfassenden klassischen Bildung verholfen hatte, und die schnell, mit der Erlangung der akademischen Grade, in politische Ämter aufstiegen, war die Hinwendung zum Geistigen gemein; der Eine war berückt von der christlichen Mystik, der Andere von der Idee ein „heiliger, weiser Mann“ der meditativen Praxis zu werden. Bartosch verspricht sich durch den transkulturellen Vergleich, neu sehen zu lernen und in der Gegenüberstellung zweier nicht voneinander beeinflusster Denksysteme, den eigenen Blick auf die philosophischen Inhalte zu schärfen. Zeitlich liegen die beiden Denker recht nah beisammen. Cusanus lebt zur Zeit der Frührenaissance im 15. Jahrhundert, Wáng Yángmíngs Lebenszeit fällt mit der Blüte der Ming-Dynastie im 16.Jahrhundert zusammen. 
Der Autor führt die beiden Denker in ihrer Funktion als einflussreiche Staatsmänner, als Diplomaten und militärische Führer ein. Die philosophisch-religiöse Vorstellung von Einheit übertrugen die – mit nicht unerheblichem Einfluss auf die Politik ihrer Zeit ausgestatteten – Würdenträger auch auf ihre Arbeit für die religiöse und staatliche Ordnung. So wurde Cusanus trotz seiner anfänglich kritischen Einstellung zum großen Fürsprecher und Verfechter des Papsttums und entwickelte darüber hinaus sogar die Vision einer Einigung aller monotheistischen Religionen. Besonders das Studium des Islam bestätigte ihn in der Auffassung, dass die großen Religionen miteinander vereinbar wären. Wáng Yángmíng, als wichtigster Vertreter eines idealistischen Neukonfuzianismus, verband die Sitten- und Staatslehre mehr mit taoistischer und buddhistischer Religiosität und näherte sich damit einer Vereinigung der „Drei Lehren“ und damit einer größeren Homogenität und allgemeinen Akzeptanz des Konfuzianismus an. 
Ungleich wichtiger in der Befassung dieser beiden Suchenden ist aber ihr Versuch, zum Kern vorzudringen, in dem Unterschiede, Fremdes und Eigenes, Mensch und Welt oder Mensch und Gott wieder eins werden. „Alle Dinge sind die in die Vielfalt ausgefaltete Einheit.“ So sieht Cusanus Gott als die grundlegende Voraussetzung von Allem, wenn ihm hier auch der sprachliche Ausdruck ein fehlerhaftes Medium scheint, das die Schöpfung und Gott voneinander trennt und Gott so eine kreatürliche Endlichkeit oder Fassbarkeit verleiht. Gott als getrennt und zugleich identisch mit der Schöpfung zu sehen, ist, scheinbar logisch unmöglich, doch für Cusanus das, was das biblische Motiv, Gott habe den Menschen nach seinem Ebenbild gestaltet, erklärt: „Alles und jedes ist Erscheinung Gottes.“ Für Bartosch ist Cusanus’ Philosophie immer auch eine Trinitätsphilosophie, die sich ihm in mannigfaltiger Form zu erkennen gibt. Geschöpf, Schöpfungsprozess und Welt führen wie auch das Tripel Anfang, Dauer und Ende in einem Absolutum zusammen; nennt man es Gott oder Zeit, es ist eine ständige Reverberation des Gedankens der Einheit als Einheit von Einheit und Getrenntheit.
Ein Zitat von Werner Beierwaltes, das auf die Wurzeln der Lehre Cusanus im Neuplatonismus weist, dient Bartosch zugleich als Brücke zur fernöstlichen Philosophie des Wáng Yángmíng: „Das Verharren des Einen Grundes in sich selbst – dessen bestimmender Hervorgang in Anderes, welches auf ihn bezogen bleibt – Umkehr und Rückgang alles Seienden in seinen Ursprung.“ Anders als in der christlichen Kosmogonie gibt es in den ostasiatischen Lehren keinen ursprünglichen Akt der Schöpfung. Kreativität bezieht sich hier auf den allem zu Grunde liegenden Wandlungsgedanken von Yin und Yang. In den beiden entgegengesetzten Polen und in der unaufhörlichen Bewegung, die sich zwischen ihnen ereignet, erkennt der Autor eine Dreieinheit, aus der Wáng Yángmíng, wie bei Cusanus, den Gedanken der Einheit als Einheit von Einheit und Differenz entwickelt: „Die Mitte des Noch-nicht-Hervorgehens, das ist das wahre Wissen, ohne davor, danach, innen und außen und ungeschieden ein Wesen. (Je nachdem, ob) Angelegenheiten (an sich) habend (oder) ohne Angelegenheiten, kann man den Herzgeist bewegt oder ruhig nennen – das Gute Wissen aber unterscheidet nicht hinsichtlich Angelegenheiten haben und keine Angelegenheiten (zu haben). (…) Der Grund des Herzgeistes unterscheidet ganz sicher nicht hinsichtlich Ruhe und Bewegung.“
Dreh- und Angelpunkt des von Bartosch exerzierten Vergleichs ist der Umstand, dass beide „bei einer Tiefenschicht der Selbstreferentialität der Reflexion angelangt sind, die (…) jeweils ein Denken des Denkens bedeutet.“ Beide Philosophen stützen sich auf ein Grundverständnis von allgegenwärtiger Einheit, die auch die Gegenbegriffe Einheit und Differenz in sich einschließt. Die Kapitelüberschriften wie Bewusstheit und Kreativität, Erkenntnis und Einsicht oder Moralität und Liebe, dienen dem Autor als Begriffe, anhand derer er den Vergleich zwischen den beiden Philosophen anstellt und die, so betont er, in ihrer Neutralität orientalistischen Vorurteilen und eingefahrenen Interpretationen des Fremden vorbeugen. Bartosch behandelt beide Denker in ihrer Originalsprache, in Latein und Chinesisch. Die Übersetzungen mit denen der Text arbeitet und in denen der Charakter der Originalsprache erkennbar wird, stammen größten Teils von ihm selbst.
 (hkl)

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 Stand: 08. Februar 2016