Novalis
Blüthenstaub
Herausgegeben von Klaus Detjen
Wallstein Verlag, 2016
Novalis Erstlingswerk zerstiebt in Sentenzen philosophischer
Betrachtungen, „literarische Sämereyen“, die formal scheinbar in losem
und dann doch in stringentem inhaltlichen Zusammenhang stehen. Es
entfaltet sich eine Philosophie der Kontemplation, eine Meditation über
den Zugang zum Sein durch die Betrachtung, die in dieser ungefestigten
Form die Intuition von Dichtung verströmt. „Es mag freylich manches
taubes Körnchen darunter seyen: Indessen, wenn nur einiges aufgeht!“
Das Spiel der Gegensätze, Überraschung und Täuschung, Volksweisheiten,
wie „todtsagen (bedeutet) langes Leben“ drücken für Novalis den Reiz am
Absoluten aus. Dort wo sich das vermeintlich Unvereinbare trifft,
entsteht die „wirkliche“ Schau. So ahnt er in der erhabenen Innenschau,
das Weltall in uns: „Nach innen geht der geheimnißvolle Weg. In uns,
oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und
Zukunft.“
So vertauscht er auch die Zeichen und das Innen wird zum Lichtreich und
das Außen die Schattenwelt. Den Sitz der Seele verortet er in der
Begegnung der beiden Reiche, an den Grenzen zwischen innen und außen, in
der Versöhnung der Gegensätze. In diesem Sinne wirkt im Humor eine
geistige und wertvolle Arbeit, da er Sinnhaftes mit Unsinnigem vermengt
und Brüche und Gegensätzliches nutzt, um sie im Witz zu neuer Einheit
zusammen zu fügen, halb Ratio, halb Gefühl, sowohl Folge, als auch
Ursache der Gebrochenheit: „Der Mensch erscheint am würdigsten, wenn
sein erster Eindruck der Eindruck eines witzigen Einfalls ist: nemlich
Geist und bestimmtes Individuum zu gleich zu seyn.“
August Wilhelm Schlegel sagte über Novalis, dass dieser nicht auf das
Wahre sondern auf das Schöne gehe. Synkretistisch könnte man so auch
Novalis Werk bezeichnen, indem die philosophische Studie mit der
Ästhetik der Dichtung verschmilzt. Die wissenschaftliche Betrachtung der
Funktionsweise des Auges wird nahezu ein philosophischer Lehrsatz, in
dem das Verbindende die Schönheit ist.
Das Sehnsuchtsziel des romantischen Dichters findet sein Bild in der
Blüte. Eines der vier Fragmente, die Novalis von Friedrich Schlegel in
seinen Text eingebaut hat, als wären sie organischer Bestandteil seiner
Betrachtung, greift dieses Motiv auf: „ Auch die Philosophie hat ihre
Blüthen. Dass sind die Gedanken, von denen man immer nicht genau weiß,
ob wir sie schön oder witzig nennen sollen.“ Dass das Schöne bei Novalis
immer auch das Heilige ist, offenbart sich in Fragment No 71, in dem
Novalis einen früheren Zustand für das heute herbeisehnt, „Dichter und
Priester waren im Anfang Eins, und nur spätere Zeiten haben sie
getrennt...“ Nach dem Handwerk der Aussaat richtet sich die Hoffnung des
Dichters auf die Frucht.
Blüthenstaub
wird im Rahmen der Typographischen Bibliothek, als deren 13. Band
herausgegeben. Die ästhetische Gestaltung wird dem feinstofflichen Inhalt gerecht: mit der DTL
Romoulus findet eine klassisch, edel anmutende Schrifttype der
Renaissance Antiqua Verwendung. Und noch weitere gestalterische
Ideen machen die Edition zu einem spannenden und lustvollen Experiment.
Das aus Das allegemeine Brouillon entliehene Gedicht nutzt der
Herausgeber, um ein farbliches Echo, das dem Blüthenstaub
nachgestellt ist, einzuführen. „Lateral / und / figurierte / Bew(egungen) / des / Lichts / und / der / Wärme / Farbenbilder / sind /
Lichtfiguren ...“.
Die graphischen Abbildungen des Farbenkreises und der sinnliche Eindruck
der einzelnen Grundfarben und der Nuancierungen in den
Mischfarben, die nur durch einen feinen weißen Rahmen gefasst, eine
gesamte Seite ausfüllen, ermöglichen eine synästhetische Lektüre zwischen
geistigem und optischem Nachspüren.
(hk)
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