Mystik.
Die Sehnsucht nach dem Absoluten
Herausgegeben von Albert Lutz
Scheidegger &
Spiess, 2011
Weise und Mystiker, die einen direkten Weg zu Gott suchen, behaupten in
allen religiösen Traditionen Asiens und Europas während der letzten 2000
Jahre ein bedeutenden Rang. Diesen Zeitraum deckt die weltweit erste
kulturvergleichende Ausstellung zum Thema Mystik im Rietberg Museum in
Zürich ab. Die Austeller beabsichtigen dabei keine Definition des
fragwürdigen Sammelbegriffs der Mystik, sondern zeigen anhand von
vierzig Fallbeispielen, teils berühmter, teils weniger bekannter
geistiger Meister einen exemplarischen Querschnitt der mystischen
Befassung durch die Kulturen und die Jahrhunderte hinweg.
Spirituelle Gelehrte, Heilige und Meister haben sich künstlerisch, in
dem Wunsch ihre besonderen geistigen Erfahrungen weiterzugeben, vor
allem der Poesie gewidmet oder auch selbst Dichtern, Bildhauern und
Malern als Motiv gedient. Die Ausstellung befasst sich mit dieser immens
wichtigen Inspirationsquelle und mit dem geistigen Hintergrund
asiatischer und europäischer Kunst.
Das die Ausstellung begleitende Buch gibt in seinem preziösen Bildteil
Heiligenikonen, Stiche, Lehrdokumente, kabbalistische Rollen,
astronomisch-zahlenmystische Tafeln, persische Kalligrafien,
nordindische Meisterzeichnungen, buddhistische Statuen, szenisch
überlaufende Bilder der hinduistischen Mythologie, Bettelschalen,
Derwischstäbe und minimalistische Zeichnungen und Schriftzüge aus der
Zen- und Naturansichten aus der Dao-Tradition wieder.
Den größten Teil nehmen die Mystiker der christlichen Tradition ein, die
in einem Artikel auf die Wüstenväter des spätantiken Ägyptens und auf
die spirituelle Philosophie Platons und Plotins zurückgeführt werden.
Die vorgestellten Beispiele mystischer Erfahrungen reichen von der
daoistischen Unsterblichen des 10. Jahrhunderts, Lin Moniang, die später
zur kaiserlichen Schutzgöttin der Seefahrt erklärt wurde, über die
Beschreibung des sich ewig selbst verströmenden Lichtes der Gottheit bei
der Begine Mechthild von Magdeburg im 13.Jahrhundert bis zum
Zen-buddhistischen Maler und Schriftsteller Hakuin Ekaku aus dem 18.
Jahrhundert.
Sucht man neben zahlreichen Unterschieden nach Gemeinsamkeiten der
mystischen Episteme so findet man, in der Loslösung vom Weltlichen, dem
Streben nach direkter Gotteserfahrung oder Vereinigung mit dem
Göttlichen, auch im Widerspruch zu den orthodoxen Formen religiöser und
weltlicher Herrschaft ein wiederkehrendes Motiv. So scheint der
mittelalterliche Orden der Franziskaner, die frati minori, in diesem
Punkt den Kalenderderwischen des muslimischen Orients oder der Lehre des
hinduistischen Dichters und Sozialreformers Bhima Bhoi aus dem späten
19. Jahrhundert sehr nahe zu sein.
Der Katalog trägt auf mehr als 300 Seiten eine bildgewaltige Sammlung
aus internationalen Leihgaben zusammen, die von einem Autorenkollektiv
aus Germanisten, Mediävisten, Theologen, Orientalisten und
Mystikgelehrten kommentiert werden und die von der Faszination künden,
die die Mystik kultur- und epocheübergreifend auf die Menschheit
ausgeübt hat. Er begleitet die gleichnamige Ausstellung, die noch bis
zum 15. Januar 2012 im Züricher Rietbergmuseum zu sehen ist. (hkl)
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