Michel de Montaigne
Tagebuch der Reise
nach Italien über die Schweiz
und Deutschland
von 1580 bis 1581
Übersetzt und mit einem
Nachwort von Hans Stilett.
Die Andere Bibliothek, 2013
Was als Bäderreise des an Nierenkoliken leidenden Juristen und
Philosophen ins Auge gefasst war – tatsächlich werden zahlreiche
französische, schweizerische, deutsche und italienische Badeorte besucht
– wird im Verlauf der 16 Monate währenden Unternehmung eine erstaunlich
weltoffene und streckenweise begeisterte Tour d’Europe. „Wir haben nie
so delikate Gerichte gegessen, wie sie dort gang und gäbe sind.“ Dieses
Lob gilt tatsächlich der deutschen Küche, der sich die des französischen
Adels in keiner Weise vergleichen könne. Überhaupt schneiden die
Deutschen im Urteil des Michel de Montaigne (1533-1592) gut ab. Zwar
seien sie „Prahlhänse, Choleriker und Trunkenbolde, aber, … , weder
Betrüger noch Spitzbuben.“ Besonders Augsburg mit seinem Reichtum und
seinen kunstvollen technischen Einrichtungen fand seine Bewunderung.
Hier habe er auf seinen Stadtrundgängen, um nicht aufzufallen, immer die
ortsübliche Pelzmütze getragen – so sein Sekretär, dem Montaigne den
ersten Teil der Tagebucheintragungen in die Feder diktiert, bevor er, ab
Rom, das Schreiben selbst übernimmt.
Der zehnköpfige Trupp – sieben Reisende zu Pferd und drei Bedienstete zu
Fuß – war am 22. Juni 1580 aufgebrochen und zog über Paris, Basel,
Schaffhausen – Zürich wird wegen der Pest rechts liegen gelassen –
weiter über Freiburg, Konstanz, Lindau, Augsburg, München, Innsbruck,
Bozen – dort herum äße man das beste Brot der Welt – sowie über Verona,
Venedig, Florenz und Siena bis nach Rom. Hier verbrachte Montaigne
mehrere Monate. Er wurde von Papst Gregor XIII. empfangen und ließ sich
seine Essays, mit denen er einer ganzen Literaturgattung ihren
Namen gab, von der päpstlichen Zensur absegnen. Sein Unglück darüber,
keinen Zugang zur höheren Gesellschaft der Stadt gefunden zu haben und
auf die Gesellschaft von käuflichen Damen angewiesen zu sein, mag sein
missmutiges Urteil über die heilige Stadt erklären: eine päpstliche
Hofhaltung, deren ganze Pracht nur auf der Zurschaustellung von
Frömmigkeit beruhe.
Erstaunlich scheint, dass dem knapp 50-Jährigen trotz der
Reiseanstrengungen und seiner gesundheitlichen Einschränkungen kaum je
ein Ereignis oder Ort wirklich verdrießen konnte und „…dass er, was ihn
betreffe, kein anderes Ziel habe als eben die Stelle, wo er sich gerade
befinde, und es für ihn folglich weder Irr- noch Umwege gebe, da er ja
allein darauf aus sei, zwischen unbekannten Orten herumzustreifen; …“
Beim zweiten Besuch in den Bädern von Lucca, schon auf der Rückreise,
notiert er gerührt: „… wurde mir ein großer und herzlicher Empfang
bereitet – es sah wahrhaftig aus, als wäre ich nach Hause zurückgekehrt“
und am Tag des Abschieds formuliert er mit fast schon orientalischem
Gleichmut: „Am Morgen vor der Abreise hatte ich übrigens einen weiteren
Stein ausgeschieden, der wesentlich größer war und sich ganz
offensichtlich von einem noch größeren Stück gelöst hatte, Gott weiß wie
groß. Sein Wille geschehe.“
Das Tagebuch der Reise, die am 30. November 1581 endete, war lange
verschollen und wurde erst 1770 wieder entdeckt. Die ersten vier Kapitel
begleiten die Reisegesellschaft durch Frankreich, die Schweiz und
Deutschland; ab dem siebten Kapitel ist Montaigne selbst der Autor. Ein
Personen- und Ortsregister und eine Karte mit der Reiseroute begleiten
dieses äußerst lesenswerte frühe Reisezeugnis. (ak)
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