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Kirchner.
Das expressionistische Experiment

Hirmer Verlag, 2014


Bei einem Besuch in Davos erlebte Otilie Schiefler, die Tochter des wichtigsten Mentors von Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938), wie der Künstler seine Druckstöcke mit dem Beil zerschlug, um spätere qualitativ schlechtere Nachdrucke zu verhindern. Der Holzschnitt als wichtigstes Experimentierfeld eines neuen expressionistischen Stils, ist die Technik, die Kirchner während seines gesamten Schaffens begleitet hat und die mit mehr als 1000 Motiven den Hauptteil seiner Druckgraphik ausmacht. Alle seine Drucke sind Originalgraphiken bzw. vom Künstler auch handwerklich selbst hergestellte sogenannte Hand- oder Eigendrucke.
In den 30ern arbeitet der Mitbegründer der Brücke intensiv daran, das Etikett des Brücke-Künstlers und Berliner Großstadtexpressionisten abzulegen – auch mit Hilfe des von ihm selbst erfundenen Kunstkritikers Louis de Marsalle, unter dessen Namen er sein eigenes Werk in Katalogen und Artikeln kommentiert. Dabei ändern sich die Motive aus seinen frühen Dresdener und den Berliner Jahren kaum; Aktdarstellungen, Badende, Tanz- und Straßenszenen bestimmen auch das Davoser Spätwerk. Aber seinen theoretischen Fokus beschreibt Kirchner jetzt so: „Die Surréalisten … berühren sich recht nahe mit modernen deutschen Bestrebungen, die den Gegenstand nicht mehr rein okular sondern als Bedeutung oder Symbol fassen und seine Form als ekstatisch gesteigerte Vision geben.“ Aus dieser Bestimmung wird sowohl Kirchners Wunsch deutlich, sich im internationalen Kunstschaffen zu positionieren, wie sein lebenslanges Bemühen, jeglichen fremden Einfluss auf sein Werk zu leugnen.
Ungeteilt positiv ist Kirchners Verhältnis zu den Vertretern des deutschen Bauhauses und ihrer theoretischen Fundierung. Eng ist die Beziehung zu Paul Klee und Oskar Schlemmer, dessen unverwechselbare Physiognomie er in einem spektakulären Holzschnitt von 1934 festgehalten hat.

Weitere Aufsätze des Bandes beschäftigen sich mit Kirchners Dokumente-Schaffen, mit der starken Wirkung der Holzschnitte und Holzstöcke des 15. Jahrhunderts im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg auf den Künstler, denen er sich mit einem deutlich nationalistischen Impuls aber eher ideologisch angeschlossen hat, ohne dass es wichtige thematische oder stilistische Beziehungen gegeben hätte, sowie mit den eindrucksvollen Portraitholzschnitten, die während seines Kreuzlinger Sanatoriumsaufenthaltes, 1917/18, entstanden. Von diesen Arbeiten, die unter anderen Henry van de Velde und Tochter Nele, den Künstler selbst und, mehrfach, den Dichter Leonhard Frank, und Ludwig Binswanger, den Leiter der Kreuzlinger Anstalt portraitieren, sagt Kirchner: „… ich muss sagen, sie haben eine Stärke des Ausdruckes in eine Form gepresst wie sie mir sonst unbekannt ist.“

Der Band, der mit den 137 Bildtafeln des Katalogteils und dem Anhang mit einer kurzen Künstlerbiographie schließt, erscheint anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Bucerius Kunst Forum in Hamburg, die vom 29.5. bis 7.9.2014 zu sehen sein wird. (ak)
 

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Literatur in Berlin: www.literarisches-berlin.de  © 2008-2013 yuba edition / Brigitte Pross-Klappoth (Berlin)
 Fotos © B.Pross-Klappoth (wenn nicht anders angegeben)
 Stand: 15. Mai 2014