Ferdinand van Ingen
Jacob Böhme in seiner Zeit
Frommann-Holzboog Verlag, 2015
Jacob Böhmes Philosophie fußte auf der zu seinen Zeiten unerhörten Idee, dass „in allen creaturen in dieser welt ein guter und ein böser wille und quell“ ist und somit das Böse einen kreativen Anteil an der Schöpfung hat. Von dieser Position aus nimmt Böhmes Streiten und Kämpfen um die direkte Gotteserfahrung ihren Ursprung: „Dann ein ieder Mensch ist frey/ und ist wie ein eigener Gott/ er mag sich in diesem Leben in Zorn oder ins Licht verwandeln“. Der niederländische Historiker und Germanist Ferdinand van Ingen führt durch die uns
sprachlich stellenweise nur schwer zugänglichen Schriften Jacob Böhmes, die mit ihren Erläuterungen zum himmlischen Reich, den satanischen Kräften, zu den Signaturen in der Natur bis hin zu Apokalypse und Erleuchtung eine geistige Kosmogonie bilden.
Diese radikale Philosophie der Erfahrung und direkten Teilhabe am Göttlichen – Böhme nennt die ihm widerfahrene Erleuchtung auch konsequent „vergotten“ – rückt ihn
selbst in den Augen der evangelischen Theologen in eine gefährliche Nähe zur Häresie.
Die Innenschau des Lausitzer Mystikers steht im Geiste des protestantischen Individualismus: „So ich mich selber lese, so lese ich in Gottes Buch.“ Die Kontemplation des Selbst, die Gottesdienst, Gotteserfahrung und Teilhabe am Göttlichen zugleich ist, barg aber, in der Böhme eigenen Radikalität,
auch für evangelische Verhältnisse gehörigen Zündstoff. Van Ingens Beobachtungen umfassen daher auch einen genauen Blick auf Görlitz, die Stadt, die es Böhme dennoch ermöglichte, seine freie und sehr unorthodoxe Lehre trotz Widerstand und Strafmaßnahmen zu verbreiten. Das humanistisch geprägte Görlitz bot, im Zuge der noch nicht gänzlich gefestigten evangelischen Theologie,
Astronomen, Mathematikern und geistigen Gelehrten Unterschlupf. Besonders der Einfluss der theosophischen und naturphilosophischen Schriften Paracelsus´ erreichte Böhme, wie auch die posthum veröffentlichten Werke Valentin Weigels: „keine gemauerte Kirche (…) sondern der Mensch solle der Tempel seyn.“ Mit Böhme zusammen gelten sie als Begründer einer deutschen Mystik, die mit ihrer neuplatonischen Ausprägung auch über die Landesgrenzen hinaus strahlte.
Eine besondere Anziehungskraft der Schriften Böhmes geht von seiner direkten, ungebildeten und
ungezähmten Sprache aus, die, teils auch in Mundart verfasst, sich als Laienwerk zu erkennen gibt. Er selbst nannte sich „Philosoph der Einfältigen“ und formulierte damit zugleich eine Kritik an der weltlichen Gelehrsamkeit und ihrem Medium, der Sprache, derer sich
die Theologie bediente: „Ich habe dem Geist immer nachgeschrieben, wie Er es dictiret hat, und der Vernunft keine Stärke gelassen.“
Van Ingen zeigt, wie die Aurora, das Erleuchtungserlebnis, das Böhme in Form einer Vision im Jahr 1600 zu Teil wurde, das Zentrum des Schaffens des Görlitzer Schusters bildet. Aus der Melancholie erhoben, die Pforten Gottes erstürmend, schreibt Böhme dieses Ereignis zwölf Jahre später nieder. Prophetisch nennt Van Ingen den Ton dieses Werks, denn eben das ist es, was den Laien von Klerikern und Theologen abhob, diese derart tiefe Einsicht in die „Geheimnisse Gottes und der Welt“, eine tatsächliche Offenbarung, die ihre Legitimation durch nichts als den Heiligen Geist selbst bezog.
Van Ingen zeigt, dass die Eigenart der Sprache Böhmes, der Kampf mit ihr und wie er sie dennoch für seine Aufgabe einspannt, ihn zu einem Dichterphilosophen machen. Und die Dichtung ist bei ihm nicht eine gefasste Lehre oder Theorie, sie bringt sich in dem Bewusstsein hervor, selbst der Blick in die „innerste Geburt Gottes“ zu sein. Der Schaffensprozess des Dichtens ist eine Analogie zum göttlichen Prinzip. Alles bei Böhme ist von Geist durchwirkt, sein Schreiben ist, wie
van Ingen formuliert, Begeisterungspoetik.
(hk)
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