Ilija Jovanović
Mein Nest in deinem Haar
Moro kujbo ande ćire bal
Romanes / Deutsch
Eschienen im Drava-Verlag 2011
Jovanovićs Sprache ist schlicht. Die Gedichte zeugen von ruhiger und
feiner Bobachtungsgabe. Über allem stehen eine große Einsamkeit, eine
große Trauer und die Suche nach Zugehörigkeit.
1950 in einer Romasiedlung in Serbien geboren, kam Ilja Jovanović 1971
nach Österreich. Zu dem Leben in Serbien befragt, heißt es in einer
Zeile: Die Verachtung steckt mir / bis heute in den Knochen. Die neue
Heimat, verdient es aber nicht so benannt zu werden: Beide Welten mögen
mich nicht / die aus der ich komme / und die in die ich geraten bin. Das
ewige Fremdsein, die Erfahrung eines Volkes, das über ganz Europa
gejagt, schlechter als Hunde behandelt und voll Ekel zurückgestoßen
wird, trifft den Leser bei der Lektüre in voller Härte.
Die Gedichtsammlung ist zweisprachig, in Romanes und Deutsch, abgefasst.
Sie ist Zeugnis eines Menschen der seelisch tief verwundet, das
Schicksal eines Volkes zum Ausdruck bringt: Wir sind verurteilt
lebenslänglich.
Bleibt im Angesicht dieser erschütternden Erkenntnis noch Hoffnung?
Die Poesie Jovanovićs ist voll von Liebe. Das ewige Umherziehen ist bei
ihm die Reise zur Geliebten. Die Verheißung der Vereinigung der
Liebenden schafft den Raum, der ihnen auf der Welt versagt bleibt. Auch
die Gemeinschaft der Leidensgenossen, Unberührbarer unter Unberührbaren
zu sein erzeugt so etwas, wie Heimat, die aber nicht Ortsgebunden ist:
Meine Heimat / ist dort wo ich bin.
Mein Nest in deinem Haar / Moro kujbo ande ćire bal ist der dritte
Gedichtband von Jovanović, der zweisprachig herauskommt, der zweite im
Drava Verlag. Dessen erklärtes Ziel ist der Brückenschlag zwischen den
Kulturen in Österreich ist. Zuletzt hatte der Lyriker den Vorsitz im
"Romano Centro", einem Verein für Roma in Österreich übernommen und
setzte sich für eine Integration durch Bildung bei gleichzeitiger
Wertschätzung und Pflege der eigenen Kultur ein.
Gegen alle bitteren Erfahrungen enthält seine Poesie einen Appell für
das Miteinander. Er erkennt in der Trennung zwischen den Kulturen und
Ethnien und der Überschreitung dieser Grenzen nur eine vorrübergehende
Aufgabe, vor der viel schwierigeren und alle Menschen gleich
betreffenden Probe, in den Tod zu gehen. Ilija Jovanović starb im
November 2010. Das letzte Gedicht zeugt von seiner tiefen spirituellen
Befassung mit dem Tod
Ich übersiedle, ich gehe weg, / ich gehe aus meinem Haus, aus meinem
Heim, / für immer / in die Ewigkeit, wo / ich kein Fremder bin, / kein
Asylant.
Elfriede Jelinek hat ein Nachwort zu der 131 Seiten starken
Gedichtsammlung geschrieben, in dem sie den alltäglichen, tief in der
Gesellschaft verwurzelten und institutionalisierten Rassismus
Westeuropas anprangert. Sie öffnet den Blick für die verpasste Chance,
im Fremden ein Spiegelbild seiner selbst zu erkennen und im
gegenseitigen Kontakt voneinander zu profitieren.
(hkl)
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