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Johan Huizinga
Amerika – Mensch und Masse in
Amerika
Amerika – Leben und Denken
Amerika-Tagebuch
Wilhelm Fink Verlag,
2011
Dass die so „junge“ Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ein
geschichtsinteressiertes europäisches Publikum langweilen müsse,
entspringt einem eurozentrischen Missverständnis. Das weist der
niederländische Historiker Johan Huizinga in seinen vier Essays aus den
Jahren 1918 bis1928 über die moderne Kulturgeschichte der USA nach.
Danach nimmt der europäische Blick die USA als ausschließlich europäisch
geprägt wahr und verfehlt damit das Besondere dieses „neuen“
Staatenbundes.
Dem europäischen Betrachter „wird (…) zumute sein wie einem, der die
strengen und durchscheinenden Formen der klassischen Musik gewohnt ist
und zum ersten Mal eine moderne Komposition hört (…): Hyperbolische
Entwicklungen, leidenschaftliche Konflikte, schreiende Widersprüche.“
Huizinga ist einer der Wegbereiter moderner Kulturgeschichte, die auch
intuitive, schwer zu fassende Kategorien, wie Mentalität im kulturellen
Ausdruck – etwa in der Malerei oder in der Musik – den klassischen
Quellen der Historiographie hinzufügt. Seine revolutionären Werke wie
„Homo ludens“, das das Spiel als Teil von Kultur und als Kultur
schaffende Konstante beschreibt, zählen zu den historiographischen
Standardwerken. Die Form des historischen Essays verleiht Huizingas sehr
anspruchsvollen Kultur-, Politik- und Geschichtsanalysen eine
begeisternde Leichtigkeit, die mit dem Fehlen wissenschaftlicher
Barrieren zu tun hat.
Er beschreibt die USA als eine Gesellschaft mit individualistischer
Geistesart, die ihr Territorium durch den individuellen Tatendrang der
Siedler errungen hat und die es, auf die Größe eines Kontinents
angewachsen, durch individuelle Arbeit zusammenhält.
Wie passt das zu dem Bild, das wir von dem größten Staatenbund unserer
Zeit, von diesem mächtigen Kollektiv haben? Huizinga sieht in der
Assoziation, in der Schaffung kollektiver Institutionen, eben den
protestantischen Individualismus wirken, der für die Einzelinteressen
der Bänker, der Großhändler, der Reeder und der Landspekulanten im
Zusammenschluss den entscheidenden Vorteil gegenüber der internationalen
Konkurrenz erkennt. Ein Vorbild sieht er in der mittelalterlichen Hanse,
einer konservativen Gesellschaftskonzeption, die so gar nicht zu dem
gängigen „Vor-“Urteil, Amerika verkörpere den Geist des neuen
Zeitalters, passt.
Individualismus und Assoziation verlieren wie die Begriffspaare alt,
überkommen, konservativ und neu, liberal, revolutionär ihre
zwangsläufige Gegensätzlichkeit.
Im zweiten Teil erweist sich der essayistische Stil Huizingas an seinen
„Losen Bemerkungen“ zu Kultur und Alltag der Vereinigten Staaten. Hier
finden sich Kommentare zur „Kunst des Journalismus“, zu „Demokratie“,
„Slogans“ und „Hochschularten“ und dazu, wie sich das Amerikanische aus
diesen Themen herauslesen lässt.
Der Band schließt mit den Tagebucheinträgen, die auf einer zweimonatigen
USA-Reise des Verfassers im Jahr 1926 entstanden. Redaktionell
aufbereitet geben sie einen Einblick in die Arbeitsweise des
Historikers, in seine Gespräche und Treffen mit Kollegen.
Die gesamten hier auf 380 Seiten herausgegebenen Texte Johan Huizingas
sind erst in den letzten zwanzig Jahren wieder ins Interesse der
Öffentlichkeit gerückt und mit dieser Edition zum Teil erstmals auf
Deutsch zu haben. (hkl)
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