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Fotografien 
von Martin Gusinde 1918-1924

Begegnungen auf Feuerland 
Selk'nam - Yámana - Kawesqar

mit Beiträgen von Christine Barth, 
Anne Chapman, Dominique Legoupil, 
Marisol Palma Behnke, Martin Gusinde

Hatje Cantz Verlag 2015

Ohne Martin Gusindes herausragende Fotos und Monographien von den indigenen Gemeinschaften der Selk'nam, Yámana und Kawesqar würden vom Leben dieser Ureinwohner der Feuerlandinseln heute nur noch die entwürdigenden Zuschreibungen früherer Reisender wahrgenommen, wie die von Charles Darwin, der die Insulaner als die „verächtlichsten und elendsten Kreaturen“ bezeichnete.
Zwischen 1918 und 1924 reiste der österreichische Ethnologe und Missionar viermal nach Feuerland. Tief drang er in die Gesellschaften der Indigenas ein, lernte ihre Sprachen, sammelte ihre Mythen und Geschichten, studierte ihr soziales und spirituelles Leben, nahm an ihren Zeremonien teil und wurde in ihre Kulte initiiert. Er beschreibt, wie er stundenlang in ihrem Kreis gesessen habe, wie ein Schüler begierig nach Wissen, und wie er sich von seinen europäischen Denkgewohnheiten und Gefühlen zu befreien suchte, um „eine besondere, einzigartige Welt zu erfassen, zu verstehen“.
Mit 1200 Fotografien, die Martin Gusinde mit einer Plattenkamera aufnahm und drei ethnographischen Bänden – den letzten stellte er kurz vor seinem Tod 1969 fertig –  hinterließ er eine beispiellose Dokumentation über die ursprünglichen Bewohner der Feuerlandinseln, mit der er zum letzten Zeugen einer unwiederbringlich ausgelöschten Kultur wurde.
Als er den Yamana, Selk’nam und Kawesqar begegnete, waren sie schon zu kleinsten Gruppen dezimiert, die einen barbarischen Genozid überlebt hatten. Ihre ursprüngliche Lebensweise als Jäger- oder Wassernomaden konnten sie nicht mehr praktizieren, da die neuen Siedler, Robbenjäger, Goldsucher und Kopfgeldjäger sie mordend von ihrem angestammten Land vertrieben hatten.
Aus Gusindes archiviertem Fotomaterial wurde für die Edition Xavier Barrals eine aussagekräftige Auswahl getroffen. Die Portraits der Mitglieder der drei ethnischen Gemeinschaften und die Aufnahmen ihrer Rituale stellen, so Christine Barthes in ihrem Beitrag „Uun-Darana(ta) – Die Augen weit geöffnet“, „ein visuelles Werkzeug dar, das den Respekt gegenüber den Personen und den Rollenspielen wahrt“.
Die Fotografien aus dem Hain-Ritual des Selk’nam Volkes, die die Zeremonien des Übergangs der männlichen Jugendlichen in die Gruppe der erwachsenen Männer angeleitet von dem Schamanen Tenenesk zeigen, sind beeindruckend und ungewöhnlich zugleich. Ganzkörpermasken, meist Bemahlungen mit geometrischen Zeichnungen, Linien, Kreisen, Punkten in unterschiedlichsten Formationen, heben die personelle Identifizierbarkeit des jeweiligen Individuums selbst dann vollkommen auf, wenn die Gesichter nicht mit Masken aus Baumrinden oder Fellen bedeckt sind. Die Figuren erscheinen vollständig transformiert. Manche symbolisieren die Geister der vier Himmel, die im Schöpfungsmythos der Selk’nam in Bezug zu den Himmelsrichtungen und den Elementen stehen, zum Beispiel der Windhimmel (Westen) oder der Schneehimmel (Süden). Manche symbolisieren andere Figuren der Mythologie oder solche, für den Ablauf des Rituals feststehende Figuren, wie ein Spaßmacher oder ein Angst und Schrecken verbreitender Unterweltgeist. 
Die Nahportraits, mit der spezifischen Schärfe und besonderen Wirkung, die von Plattenkameras hervorgebracht wird, sind bestechend und lassen einen wieder und wieder in die Gesichter dieser Menschen schauen, wie um darin etwas zu ergründen. Gusinde hat sowohl die individuellen Portraits wie die Gruppenaufnahmen präzise mit den Namen, manchmal mit den Funktionen oder Verwandschaftbeziehungen beschrieben; sie bleiben nicht anonym sondern bekommen eine kulturelle Einbettung, die überaus bewegend ist. Sein empathischer und sympathischer Blick durch die Kamera hat künstlerische Kleinode und historische Zeugnisse von den ursprünglichen Bewohnern am südlichsten Teil des amerikanischen Kontinents geschaffen. Es ist ein Glück, dass dieser prächtige Band, die Fotos aus der Verborgenheit wieder hervorgebracht hat.
(bpk)

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Literatur in Berlin: www.literarisches-berlin.de  © 2008-2013 yuba edition / Brigitte Pross-Klappoth (Berlin)
 Fotos © B.Pross-Klappoth (wenn nicht anders angegeben)
 Stand: 20. Januar 2016