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Candida Höfer
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Mit einem Essay von Umberto Eco
Schirmer Mosel Verlag 2018

Hanna Mattes
Searching for the
Cold Spot
Englisch
Deutscher Kunstverlag 2017

 

Sebastian Kusenberg
Pictures Inside Me Englisch /Deutsch 

Kehrer Verlag

Die Göttliche Komödie.
Himmel, Hölle, Fegefeuer aus Sicht afrikanischer Gegenwartskünstler

 
Kerber Verlag 


 
 



Stefan Gronert

Die Düsseldorfer Photoschule
Photographien 1961-2008


Schirmer Mosel Verlag 2017
 

Hilla und Bernd Bechers photographische Serien von Kühltürmen, Fördertürmen, Fabrikhallen, Gasbehältern, Kalköfen, Arbeiter- und Fachwerkhäusern, aufgenommen mit einer Plattenkamera in einheitlicher Kadrierung und Belichtung, wobei Schattenwürfe, lebensweltliche Details wie Autos, Wetterphänomene und alles Organische vermieden wurden, sollten die überdauerten Objekte einer niedergehenden Bergbauindustrie als Dokumente einer verschwindenden Zeit festhalten. Durch die Setzung ihrer gestalterischen Prämissen entstanden "anonyme Skulpturen", die die Photographen, in typologischen Tableaus gruppierten und präsentierten.
Von den Schülern der Photoschule, die die Bechers in den 1970iger Jahren an der Düsseldorfer Kunstakademie begründeten, wählte Stefan Grohnert zehn Künstler für seinen vorliegenden Band aus und erkundet, wie sie dem photographischen Theorem der Becher’s verpflichtet sind, es jedoch fortwährend transformieren, erweitern oder die digitalen Bearbeitungshorizonte ausschöpfen.

Candide Höfer wurde mit ihren Fotografien öffentlicher und halböffentlicher Räume bekannt, die sie, mit nur wenigen Modifikationen der Becher‘schen Vorgaben, menschenleer,  als "still gestellte Räume",  festhält.  Stefan Gronert betont ihre besondere Akzentuierung des Lichts, die, ihren, ohnehin prunkvollen Objekten, eine zusätzliche Brillanz verleiht. In einer Art Mimesis reflektiert Axel Hütte menschenleere Landschaften. Er setzt geometrische Objekte, meist Architekturen, vor seine Aufnahmen und erzielt eine Rahmung, mit der er spielerisch, in sehr verlockender Verfremdung, Landschaft inszeniert. Wie Fata Morganen lässt Elger Esser lyrische, romantische Landschaften entstehen. Meist in magisches, sanft-gelbes Licht getaucht, haben sie etwas Getüncht-Verwischtes. In seinen, fast verklärten Reproduktion von Orten, auf den Spuren von Proust, evoziert er Traumbilder einer verblassten Epoche.
Spürbare Stille heben die Photographien Petra Wunderlichs hervor. Erst nach einem Studium der Malerei kam sie in die Becher-Klasse. Neben ihren anfänglichen Werkgruppen sakraler Bauten faszinieren ihre Fragmente stillgelegter Steinbruch-Areale, in die sie sich von oben her versenkt, dabei auffällig einen Horizont vermeidet. Durch ihren besonderen Blick, der, wie Grohnert es formuliert, "auf der Suche nach Durchdringung" ist, erscheinen Ihre Photographien wie akzidentielle Architekturen: Theaterkulissen,  archaische Wohnstätten,  Grabkammern, archäologische Stätten. Laurence Berges' Bilder sind von der Melancholie des Verschwindens durchdrungen. Übrig gebliebene Dinge früherer Einrichtungen, verschlissen, abgewetzt, skurril, verwelkt, erscheinen bei ihm in einer surrealen Raumästhetik. Lange bevor die weltweiten Urban-Gardening-Projekte auf sich aufmerksam machen, widmet sich Simone Nieweg den sichtbaren Berührungs- und Aktionsfeldern von Menschen in angeeigneten Naturorten, Feldern, Kleingärten, Gemüsebeeten oder herausgehobenen einzelne Pflanzenspezies und lässt sie in ihrer eigenen Lichtqualität erscheinen.
In den 1990er Jahren beginnt Jörg Sasse mit seinen computermanipulierten Bildern, wofür er ausschließlich ausgesuchte anonyme Amateurbilder verwendet. Bildausschnitte aus diesem Basismaterial werden minutiös bearbeitet und einzelne Objekte in einem überzogenen Realismus herausgearbeitet. Diese verdichteten, herausgeschälten Augenblicke machen das Fesselnde seiner Bilder aus. Thomas Ruff  radikalisiert die These vom Rückzug des Autors. Besonders in seinen grünlichtigen Nachtsichtkamera-Photographien, sucht er den Eindruck einer fehlenden Subjektivität zu erwecken. Sie sind Medien-Berichterstattungen von Militäreinsätzen nicht unähnlich.  Seinen hohen Bekanntheitsgrad erwarb sich Ruff vor allem mit der spektakulären Werkserie Nudes, 2003. Er transformiert aus dem Internet entnommene Fotos aus Pornoseiten durch Pixel-Manipulationen. Mit Unschärfen nimmt er den ursprünglichen Abbildungen, die agitierende Schärfe. Sie werden so,in gewisser Weise, in ihrer gemäldeartigen Wirkung gesellschaftsfähig und auf einer anderen Ebene wieder neu kommerzialisierbar.
Thomas Struth tastet die Grenzen zwischen Kunstkonsumenten und Kunst in seinen Photographien von Kunstbetrachtern in Galerien ab. Wie in einer Ausdehnung der Gemälde erscheinen die Betrachtenden mit dem betrachteten Bild zu verschmelzen.
Alexander Gursky wird zusammen mit Thomas Struth und Thomas Ruff in dem neugeschöpften Wort-Etikett Struffsky als einer der drei bekanntesten Künstler, die aus der Becker-Klasse hervorgegangen sind, gehandelt. Gurskys "super-dokumentarische" Photographien, wie die eines Warenlagers von Amazon, seinem 99-Cent Bild oder die auf den verschiedenen Kontinenten aufgenommenen Bilder der nationalen Börsenmärkte, changieren alle zwischen ihrer vermeintlich sachlichen Wiedergabe, ihrer Abstraktion und dem Eindruck eines Ornaments, was Gursky durch digitale Bearbeitung zur Wirkung bringt. Makler in der New Yorker Börse werden, als chaotischer Strudel ineinander fließender Farben wahrgenommen, praktisch entpersonifiziert.  Stefan Grohnert empfindet Gurskis Bilder dann am überzeugendsten "wenn sie sich zu Paradigmen oder Superzeichen des geschäftlichen Lebens verdichten". Aber Gursky kann es auch philosophischer, wenn er Person und Raum so konfrontiert wie in Kathedrale von 2007. Er verstärkt die numinose Gravität des Raumes in der Kathedrale von Chartre durch die digitale Entfernung der Pfeiler zwischen den hohen Kirchenfenstern. Die dort stehenden Akteure eines Filmteams wirken berührend winzig und haben doch im Bild eine Ausschlag gebende Präsenz.
(bpk)

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 Stand: 21. Februar 2018