Stefan Gronert
Die Düsseldorfer Photoschule
Photographien 1961-2008
Schirmer Mosel
Verlag 2017
Hilla und Bernd Bechers photographische Serien von Kühltürmen,
Fördertürmen, Fabrikhallen, Gasbehältern, Kalköfen, Arbeiter- und
Fachwerkhäusern, aufgenommen mit einer Plattenkamera in einheitlicher
Kadrierung und Belichtung, wobei Schattenwürfe, lebensweltliche Details
wie Autos, Wetterphänomene und alles Organische vermieden wurden,
sollten die überdauerten Objekte einer niedergehenden Bergbauindustrie
als Dokumente einer verschwindenden Zeit festhalten. Durch die Setzung
ihrer gestalterischen Prämissen entstanden "anonyme Skulpturen",
die die Photographen, in typologischen Tableaus gruppierten und präsentierten.
Von den Schülern der Photoschule, die die Bechers in den 1970iger Jahren
an der Düsseldorfer Kunstakademie begründeten, wählte Stefan Grohnert
zehn Künstler für seinen vorliegenden Band aus und erkundet, wie sie dem
photographischen Theorem der Becher’s verpflichtet sind, es jedoch
fortwährend transformieren, erweitern oder die digitalen
Bearbeitungshorizonte ausschöpfen.
Candide Höfer wurde mit ihren Fotografien öffentlicher und
halböffentlicher Räume bekannt, die sie, mit nur wenigen Modifikationen
der Becher‘schen Vorgaben, menschenleer, als "still gestellte Räume",
festhält. Stefan Gronert betont ihre besondere Akzentuierung des
Lichts, die, ihren, ohnehin prunkvollen Objekten, eine zusätzliche Brillanz verleiht. In einer Art
Mimesis reflektiert Axel Hütte menschenleere Landschaften. Er setzt
geometrische Objekte, meist Architekturen, vor seine Aufnahmen und
erzielt eine Rahmung, mit der er spielerisch, in sehr verlockender
Verfremdung, Landschaft inszeniert. Wie Fata Morganen lässt Elger Esser
lyrische, romantische Landschaften entstehen. Meist in magisches, sanft-gelbes
Licht getaucht, haben sie etwas Getüncht-Verwischtes. In seinen, fast
verklärten Reproduktion von Orten, auf den Spuren von Proust, evoziert
er Traumbilder einer verblassten Epoche.
Spürbare Stille heben die Photographien Petra Wunderlichs hervor.
Erst nach einem Studium der Malerei kam sie in die Becher-Klasse. Neben
ihren anfänglichen Werkgruppen sakraler Bauten faszinieren ihre
Fragmente stillgelegter Steinbruch-Areale, in die sie sich von oben her
versenkt, dabei auffällig einen Horizont vermeidet. Durch ihren
besonderen Blick, der, wie Grohnert es formuliert, "auf der Suche nach
Durchdringung" ist, erscheinen Ihre Photographien wie akzidentielle
Architekturen: Theaterkulissen, archaische Wohnstätten, Grabkammern,
archäologische Stätten. Laurence Berges' Bilder sind von der Melancholie
des Verschwindens durchdrungen. Übrig gebliebene Dinge früherer
Einrichtungen, verschlissen, abgewetzt, skurril, verwelkt, erscheinen
bei ihm in einer surrealen Raumästhetik. Lange bevor die weltweiten Urban-Gardening-Projekte auf sich aufmerksam machen, widmet sich
Simone Nieweg den sichtbaren Berührungs- und Aktionsfeldern von Menschen
in angeeigneten Naturorten, Feldern, Kleingärten, Gemüsebeeten
oder herausgehobenen einzelne Pflanzenspezies und lässt sie in ihrer
eigenen Lichtqualität erscheinen.
In den 1990er Jahren beginnt Jörg Sasse mit seinen computermanipulierten
Bildern, wofür er ausschließlich ausgesuchte anonyme Amateurbilder
verwendet. Bildausschnitte aus diesem Basismaterial werden minutiös
bearbeitet und einzelne Objekte in einem überzogenen Realismus
herausgearbeitet. Diese verdichteten, herausgeschälten Augenblicke
machen das Fesselnde seiner Bilder aus. Thomas Ruff radikalisiert die
These vom Rückzug des Autors. Besonders in seinen grünlichtigen
Nachtsichtkamera-Photographien, sucht er den Eindruck einer fehlenden
Subjektivität zu erwecken. Sie sind Medien-Berichterstattungen von
Militäreinsätzen nicht unähnlich. Seinen hohen Bekanntheitsgrad erwarb
sich Ruff vor allem mit der spektakulären Werkserie Nudes, 2003.
Er transformiert aus dem Internet entnommene Fotos aus Pornoseiten durch
Pixel-Manipulationen. Mit Unschärfen nimmt er den ursprünglichen
Abbildungen, die agitierende Schärfe. Sie werden so,in gewisser Weise,
in ihrer gemäldeartigen Wirkung gesellschaftsfähig und auf
einer anderen Ebene wieder neu kommerzialisierbar.
Thomas Struth tastet die Grenzen zwischen Kunstkonsumenten und Kunst in
seinen Photographien von Kunstbetrachtern in Galerien ab. Wie in einer
Ausdehnung der Gemälde erscheinen die Betrachtenden mit dem betrachteten
Bild zu
verschmelzen.
Alexander Gursky wird zusammen mit Thomas Struth und Thomas Ruff in dem
neugeschöpften Wort-Etikett Struffsky als einer der drei
bekanntesten Künstler, die aus der Becker-Klasse hervorgegangen sind,
gehandelt. Gurskys "super-dokumentarische" Photographien, wie die eines
Warenlagers von Amazon, seinem 99-Cent Bild oder die auf den verschiedenen Kontinenten
aufgenommenen Bilder der nationalen Börsenmärkte, changieren alle
zwischen ihrer vermeintlich sachlichen Wiedergabe, ihrer Abstraktion und
dem Eindruck eines Ornaments, was Gursky durch digitale Bearbeitung zur
Wirkung bringt. Makler in der New Yorker Börse werden, als chaotischer Strudel ineinander fließender Farben
wahrgenommen, praktisch entpersonifiziert. Stefan Grohnert empfindet Gurskis Bilder dann am
überzeugendsten "wenn sie sich zu Paradigmen oder Superzeichen des
geschäftlichen Lebens verdichten". Aber Gursky kann es auch
philosophischer, wenn er Person und Raum so konfrontiert wie in
Kathedrale von 2007. Er verstärkt die numinose Gravität des
Raumes in der Kathedrale von Chartre durch die digitale Entfernung der
Pfeiler zwischen den hohen Kirchenfenstern. Die dort
stehenden Akteure eines Filmteams wirken berührend winzig und haben doch
im Bild eine Ausschlag gebende Präsenz.
(bpk)
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