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Michael Peppiatt
In Giacomettis Atelier
Deutscher Kunstverlag,
2013
Die Pariser Rue Hippolyte-Maindron – das waren bescheidene Wohnungen,
einige Geschäfte, unbedeutende Cafés, ein Holzplatz, eine Grundschule.
In der Hausnummer 46 fand Alberto Giacometti (1901-1966) die
Räumlichkeit, die ihn und sein Werk, obwohl zu klein und nicht mehr als
ein „Loch“, vierzig Jahre lang wie eine zweite Haut umgab.
Dass sein Festhalten an den armseligen Lebensumständen mit seiner
Herkunft aus dem dunklen Val Bregaglia im Schweizer Bergell oder einer
besonderen Leidensneigung zu tun habe, mag dahin gestellt sein. In einem
1947 von Simone de Beauvoir geschriebenen Brief findet sich eine andere
Spur. „Vor 20 Jahren war er sehr erfolgreich und machte mit einer Art
surrealistischer Skulpturen eine Menge Geld. Reiche Snobs zahlten hohe
Summen, wie für Picasso. Aber dann fühlte er, dass es ihn zu nichts
führte und er etwas von sich selbst wegwarf, und er kehrte den Snobs den
Rücken; er fing an, für sich zu arbeiten, verkaufte fast nichts mehr
außer für den notwendigsten Lebensunterhalt.“
Das Buch ist auch eine Art Gesellschaftsreportage, eine Plauderei über
die Hintergründe des Künstlers, seine Familie, seine Frauen, die
berühmten Zeitgenossen – Jean Paul Sartre, Samuel Beckett, Michel Leiris
– mit denen ihn eher gegenseitige Achtung als Freundschaft verband.
Größer aber ist das Verdienst des Buches als Führer zum Innenraum des
Künstlers, der sich spiegelbildlich zum schichtweise zuwachsenden,
äußerst intim fotografierten Atelier verhält und sich als Steinbruch für
das dramatische Lebenswerk des Künstlers entpuppt. Der vielleicht beste
Kenner des Giacometti’schen Geheimnisses, der Dichter Jean Genet,
formulierte mit Ehrfurcht: „Soll ich es sagen? In diesem Atelier stirbt
langsam ein Mensch, verbraucht sich und verwandelt sich vor unseren
Augen in Göttinnen.“
Die Skulpturen, die nach Auskunft des Autors nicht selten eine
wahrnehmbare Begräbnisstimmung ausstrahlen, ebenso wie sie bronzenen
Abbildern prähistorischer Felszeichnungen ähneln, gerieten dem Künstler
in seiner Genfer Zeit, während des Krieges, zu fadendünnen, in wenige
Streichholzschachteln passende Figürchen. Sein verzweifelter Versuch der
Winzigkeit seiner Figuren entgegen zu arbeiten, reicht noch bis in die
von bitterer Armut beherrschte Nachkriegszeit. Eine New Yorker
Einzelausstellung bahnte dem Künstler schließlich den Weg zu weltweitem
Ruhm.
Eine Zeittafel, ein Personenregister und eine hilfreiche bibliografische
Notiz beschließen die äußerst spannende, schwarz-weiß illustrierte
Biografiereportage. (ak)
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