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, 2017

Es geht um Architektur, die den Menschen wie eine zweite Textilschicht umhüllt, in die man sich einnisten kann, die Wohnungen, Arbeitsstätten, Lokale, Spielplätze, Gärten und Läden buchstäblich aufeinander stapelt, die Leben in einer Plastiktüte ermöglicht, die ihren Bewohnern den ebenen Boden unter den Füßen und die Stühle unter dem Hintern wegzieht, um deren soziales Miteinander zu dynamisieren.
Einem auf der documenta 12, 2007, getroffenen Postulat folgend, nach dem die Moderne, unsere Antike sei, in deren Ruinen die Rezepte und Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu suchen wären, unternehmen der Architekturkritiker Niklas Maak und die Fotografin und Künstlerin Johanna Diehl ihre architektur-archäologische Reise in die 60er und 70er Jahre. Sie haben sieben Architekten und Architektinnen aufgesucht, heute weitgehend vergessene, ehemalige Pioniere ihres Fachs, deren überaus spannende Biografien und Werkdokumente viel mit der großen gesellschaftlichen Offenheit und Experimentierfreude dieserZeit zu tun haben.
Die Autoren werden vor allem in Frankreich fündig, etwa bei Yona Friedman, der selbst nur wenig gebaut hat, aber als Architekturvordenker gilt. Die in seiner Pariser Wohnung eingefangenen Fotos sind das Abbild eines beständig suchenden und experimentierenden, kein  Material- und Ideenchaos fürchtenden Geistes. Friedmans Konzept einer mobilen Architektur mit offenen Strukturen, in denen man sich einnisten kann, einem Regalsystem  vergleichbar, in das Häuser und andre Elemente wie Regalbretter eingefügt werden, hat unter anderen Renée Gailhoustet mit ihrem „hochverdichteten urbanen Terrassenbau“ in der Pariser Vorstadt Ivry-sur-Seine umgesetzt.
Das lebendige Moment der Architektur, das eng mit den Bewohnerbedürfnissen kommuniziert und ihr soziales Sein beeinflusst, ist ein Hauptanliegen der vorgestellten Baumeister. So sah sich der, 2014, auf seiner seit 30 Jahren betriebenen Wohn- und Baustelle gestorbene Antti Lovag mehr als Habitologe oder Wohnforscher denn als Architekt und die Archtektin und Designerin Cini Boeri schuf Möbel, die das Leben umfließen sollten. Der radikalste unter ihnen war Claude Parent, der 2016 starb. Er baute eine wilde, schräge Welt, die sich der Bewohner, kletternd, rutschend und lagernd aneignen musste.
Ein weiteres Anliegen waren die schon bei Friedman diskutierten Materialexperimente. Dante Bini baute für Michelangelo Antonioni und Monica Vitti um einen Ballon herum eine nach oben offene Betonkuppel, die einen wahren Irrgarten von Außen- und Innenräumen einschloss und Hans Walter Müller schuf temporäre Pneumamente, wie die aufblasbare Kirche für Montigny-lès-Cormeilles, die 200 Menschen fassen konnte und ganze 32 Kilogramm wog. Dass auch der brutalistische Beton, von Wetter und Alter nachmodelliert, sich seiner Umgebung anverwandeln kann, machen die eindrucksvollen Fotografien deutlich.

Auffällig für alle Beispiele ist das Bestreben nach größter Affinität zwischen Bauwerk und Mensch und dafür Verrücktes, Verspieltes, und manchmal auch Visionäres zu riskieren. Ein derartiger Anspruch mag nicht in unsere neoliberale Landschaft passen, verdient aber um so mehr in Erinnerung gebracht zu werden. (ak)

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Literatur in Berlin: www.literarisches-berlin.de  © 2008-2017 yuba edition / Brigitte Pross-Klappoth (Berlin)
 Stand: 10. Dezember 2017