Helmuth Kiesel (Hg.)
Ernst Jünger. In Stahlgewittern
Historisch-kritische Ausgabe in zwei Bänden
Klett-Cotta, 2013
Ein Frontbericht, ein Abenteuerbuch, ein Heldenepos? Das 1920 erstmals
erschienene Buch Ernst Jüngers wurde ebenso für seine
Kriegsverherrlichung gescholten, wie es für seine pazifistische Wirkung
gelobt wurde. Fraglos war der Autor, der schon als 18-jähriger Schüler
der Fremdenlegion beitrat, als er in den Ersten Weltkrieg zog, von
Abenteuerlust, und, nach zahlreichen Verletzungen, Auszeichnungen und
Beförderungen, auch von beträchtlicher Selbstherrlichkeit und Ehrsucht
getrieben. Den literarischen Wert seines Buches muss man dennoch gerade
in seiner Bescheidung suchen: auf den engen Fokus der Frontereignisse
und auf die penible Schilderung ihres sinnlichen Erlebens.
Bei allem Kriegspathos verweigert sich der Bericht weitgehend einer
ideologischen Zuordnung und wagt sich in Anlehnung an nordische
Saga-Literatur eher an das Erkunden allgemeiner Kriegerbefindlichkeiten:
„Am Abend saß ich noch lange in jener ahnungsvollen Stimmung, von der
die Krieger aller Zeiten zu erzählen wissen, …“; „Übrigens war dieser
schwere und süßliche Hauch nicht lediglich widerwärtig; er rief darüber
hinaus, eng mit den stechenden Nebeln des Sprengstoffs vermischt, eine
fast hellseherische Erregung hervor, …“; „ …die Beobachtung, dass es
eine Art des Grauens gibt, die fremdartig ist wie ein unerforschtes
Land. So spürte ich in diesen Augenblicken keine Furcht, sondern eine
hohe und fast dämonische Leichtigkeit; auch überraschende Anwandlungen
eines Gelächters, …“
Diese beobachtende, ideologisch indifferente Haltung, und das zeigt
diese Historisch-kritische Ausgabe deutlich, verliert sich mit den sechs
aufeinander folgenden Bearbeitungen des Textes durch Jünger mehr und
mehr. Zwar tilgt der Autor aus den für In Stahlgewittern
genutzten, vierzehn minutiös geführten Kriegstagebüchern, verschiedene
nebensächliche Konfliktstoffe wie Alkoholexzesse und erotische
Verwicklungen, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und alles
Zufällige und Ausschmückende zu vermeiden, beschwert den Text aber mit,
je nach politischer Konjunktur unterschiedlichen, weltanschaulichen
Haltungen. So lässt sich die Bearbeitung von 1924 als nationalistisch
apostrophieren, ein Ton, der, um das Buch einer
politisch-nationalsozialistischen Vereinnahmung zu entziehen, in der
zehn Jahre später entstehenden Fassung fehlt. 1961 folgt eine
humanisierende Bearbeitung, in der Begriffe wie Verantwortlichkeit,
Schuldgefühl oder Trauer hervortreten.
Die Historisch-kritische Ausgabe erscheint im Gewand der Erstausgabe von
1920: stilisierte Explosionswölkchen zieren die Einbände der zwei je
etwa 600 Seiten starken Bände. Der erste Band enthält im Paralleldruck
auf der linken die Erstausgabe und auf der rechten Seite die letzte
Ausgabe von 1978. Auf beiden Seiten erscheint der Text, der der
Erstausgabe entspricht in schwarzer Schrift. Links sind die Einfügungen
der späteren Ausgaben durch verschiedene Farben gekennzeichnet; rechts
bezeichnen die farbigen Passagen die Einfügungen späterer Ausgaben, die
in der letzten Ausgabe erhalten geblieben sind. Der zweite Band enthält
neben dem Fassungsvergleich und dem Variantenverzeichnis von Luisa
Wallenwein, die Materialien und eine umfassende Einleitung des
Herausgebers. (ak)
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