Adolf Endler
Kleiner Kaukasischer Divan
Von Georgien erzählen
Herausgegeben von Brigitte Schreier-Endler
Wallstein Verlag, 2018
Endlers Georgien erlebt der Leser als einen poetischen, vieldimensionalen Essay, in dem Orte, Zeiten, Dichtungen,
Menschen-Skizzen und Mythen in der sinnlichen Nachzeichnung des
Dichters miteinander verknüpft erscheinen. Wie waren die vielfältigen
Aufzeichnungen, die zahllosen Eindrücke beim Durchstreifen des Landes
zusammenzubringen? Vieles, scheint Endler, wäre “mit dem Faden des
bedenkenlosen Lyrikers genäht“. Wegen der Sprunghaftigkeit seines
Erzählens, den Sprüngen in Träumen oder in schnellen Filmschnitten
ähnlich, wollte er das Buch ursprünglich Der Traum von Georgien
nennen. Bei einer weißhaarigen Gartenarchitektin aus Tbilissi, die
rauchend und sinnierend die kunstvolle Gestaltung des Gartens von Likani
lenkte, fand Endler das „Sprunghafte“, das ihm aus seiner eigenen Art zu
arbeiten Vertraute, wieder.
Diese „Poetessa der Gartenkunst“ teilte ihr leidenschaftliches und
emphatisches Verhältnis zur Dichtung sicherlich mit der Mehrheit der
Georgier und wirkliche Weltliteratur, das war Galaktion Tabidse, der
große georgische Symbolist. Für diesen „wirrbärtigen Trinker“, der sich
1959 mit den Worten „Das Meer! Das Meer!“ aus dem Fenster stürzte, würde
jeder in Georgien alle anderen Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts
hergeben, annotierte Endler.
Eigentlich hielt er sich im Rahmen eines staatlichen
Übersetzungsprojektes in den Jahren 1973 bis 1975 in Georgien auf, um
georgische Dichtung ins Deutsche zu übertragen, doch ging seine
Begeisterung weit über die Dichtung hinaus
Sein Kaukasischer Diwan vibriert geradezu vor Enthusiasmus für
die georgischen Landschaften, die vielen Sprachen und Kulturen, die
traditionellen Riten, die Handwerke, die verschiedensten regionalen
Spezialitäten; er ist bezaubert vom alten Tbilissi des Dichters Iosseb
Grischaschwili, von der Kunst, Feste zu feiern und Gemeinschaft zu
zelebrieren, wo immer sich eine Gelegenheit bietet.
Sein Text scheint sich an den Gesprächshabitus der Georgier angeschmiegt
zu haben, in dem das Erzählen über Ereignisse, wie das kunstvolle
traditionelle Ausrichten von Hochzeitsfeiern oder Begräbnissen, selbst
zum Kunstwerk wird.
Später beim Ausarbeiten seiner Reiseerinnerungen, abgeschieden in der
Lausitz, treibt Endler ein altes georgisches Märchen, Der
Aschenstocherer, um. Es erzählt von Einem, der immer abwesend an
seinem Kaminloch sitzt und in der Asche stochert, „und dann wird er
hinausgetrieben und ist – hat er das beim Aschenstochern gelernt? – ein
Ausbund von Weltgewandtheit und Klugheit … und sammelt Reichtümer um
Reichtümer.“ Ob er selbst dieser Märchenfigur gleiche und zurückgekehrt
aus seinem „georgischen Sommer“ nun beim Schreiben in dem einst
glühenden Erlebnis stochere?
Sicher ist, Endler hat hier sein georgisches Erleben wieder zum Glühen
gebracht.
(bpk)
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