Lite ra
RIsches
Berlin

 Home

 Lesungen Dichter in Berlin Literarische Orte Neue Bücher Kulturstadtführer Impressum

  Welt-Philosophien - Buchbesprechungen

 

 Bücher
Empfehlungen

Navid Kermani
Zwischen Koran
 und Kafka
West-östliche Erkundungen
C.H.Beck, 2015



Jingde chuandeng lu Aufzeichnungen von der Übertragung 
der Leuchte 
aus der Ära Jingde 
Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, 2014



Hildegard Elisabeth Keller (Hrsg.)
Der Ozean im Fingerhut
Hildegard von Bingen, Mechthid von Magdeburg,
Hadewijch und Etty Hillesum

Human Condition. Mitgefühl und Selbstbestimmung
in prekären Zeiten
Herausgegeben von
Peter Pakesch
und Adam Budak

bestellen bei 

 



William Butler Yeats

Eine Vision



Kröner Verlag, 2014


Butler Yeats hat sein Buch Eine Vision, das so gänzlich anders ist als der Rest seines Werkes, als das wichtigste all seiner Bücher bezeichnet. Dem begeisterten Leser der Yeats’schen Lyrik und seiner keltischen Mythen und Legenden eröffnet das Bändchen einen Zugang zur spirituellen Befassung des irischen Dichters. 
Yeats führt in einer sehr vertraulichen Sprache, wie im ungezwungenen Gespräch mit dem Leser, in sein Buch ein, das teils Dichtung und Theater, teils Biographie und spiritistische Abhandlung ist. In dem damals von der Welt noch nicht entdeckten und den Touristenströmen unbekannten ligurischen Küstenort Rapallo, mit seiner seiner Ruhe und in den Gesprächen mit seinem liebsten Feind und Freund Ezra Pound schafft er sich einen Ort, der ihm sowohl konkret als auch symbolisch Wege in seiner Erkenntnissuche eröffnet. Das von den Surrealisten entworfene Konzept des automatischen Schreibens, das ohne erzwungenen Verstand, Vernunft und Wille ein unbewusstes, tieferes Wissen zu Tage fördern soll, gerät bei Yeats zu einer Séance, in der George Yeats seine Frau über Jahre hinweg, als Medium zwischen Ihm und gestaltlosen Übermittlern fungiert. Ein Kollektiv von immateriellen "Lehrern", die seine ungenauen, zögerlich langsamen Fragen tadeln, teilt ihm mit: „Wir sind gekommen um dir Metaphern für die Dichtkunst zu geben“. Und der Dichter berichtet wie er diesen Übertragungen fasst ekstatisch entgegenfieberte und ein System von Symbolen, das seiner Frau und ihm gleichermaßen unbekannt war, offenbar darauf wartete sichtbar zu werden. Nach einiger Zeit beginnt seine Frau im Schlaf zu sprechen, aber anstatt aufzuschreiben und die Zwiesprache mit immer neuen Übermittlern, die Yeats größte Aufmerksamkeit abverlangen, festzuhalten, ist er schwach, unsicher oder unkonzentriert, "Störer" mischen sich ein, Stimmen leiten ihn gezielt in die Irre und korrumpieren die reine Lehre. Schließlich zeigt sich einer der "Lehrer" irritiert, dass Yeats über Wochen hinweg keine Notizen angefertigt hatte, um die Essenz der Übertragung bewahren zu können. Auf die Antwort des Dichters, dass ihm doch ausdrücklich befohlen wurde nicht mitzuschreiben und dass ihm eine Zusammenfassung am Ende der Unterweisung versprochen wurde, erwidert die körperlose Stimme, dass dieser Befehl von einem "Störer" gekommen sein muss und es keine Zusammenfassung und keine Wiederholung geben könne. Die Komik dieser Szene bedeutet nicht, dass es Yeats mit der theosophischen Beschäftigung nicht ernst wäre. Ungewissheit, Fallen und Holzwege stellen sich eher als Bestandteil der Lehre oder als Prüfung dar. Yeats bezieht sich auf Größen der Theosophie und Mystik, wie Emanuel Swedenborg, Paracelsus, Jakob Böhme, Wilhelm Meister und William Blake, die ihm, statt der distanzierten Theorie philosophischer Lektüre, einen direkten Erfahrungszugang zu ermöglichen scheinen.
Der Hauptteil des Werkes ist seiner eigenen Ansicht nach, die hochkomplexe Veranschaulichung der Übertragung in geometrischen Mustern, die stark an die Zahlenmystik der Kabbala erinnern. Zwei sich durchschneidende Kegel, deren Spitzen je die Unterseite des anderen berühren, sind das Symbol für die dichotomischen Wirkungsweisen der sichtbaren Welt, wenn das Eine anschwillt, nimmt sein Gegenteil im gleichen Maße ab. Der irische Dichter findet bei dem antiken Philosophen Empedokles eine Beschreibung dieser Dynamik: „Wenn Zwietracht auf den tiefsten Punkt des Wirbels gesunken ist, hat die Eintracht die Mitte erreicht, in ihr kommen alle Dinge zusammen, um nur eins zu sein, nicht alle auf einmal, sondern nach und nach aus verschiedenen Vierteln , und mit ihrem Kommen weicht Zwietracht an die äußerste Grenze zurück … in dem Maße, wie sie ausfließt, fließt Eintracht in einem sanften, immerwährenden, grenzenlosen Strom hinein.“ Die Bewegung der Kegel ist eingebettet in den hoch komplexen, Großen Kreis, der, in verschiedene Phasen eingeteilt, das zyklische Grundmuster des Universums beschreibt. Mondphasen, Geburt-Tod-Reinkarnation, sich wiederholende Geschichtsabläufe, Jahreszeiten und Planetenbahnen verdeutlichen alle das allgegenwärtige Prinzip der sichtbaren Welt.
Das dritte der fünf Bücher, Prüfung der Seele, ist Yeats zufolge, wenn auch das kürzeste so doch das essentiellste und orientiert sich an den vier Zuständen, die die Seele gemäß den Upanishaden durchschreitet: den des Wachens, den des Traumes, den des traumlosen Schlafs und einem vierten, der durch Kontemplation und Wachheit erreicht werden kann.
Auf die Frage, ob wir alle diese Wunder der Übertragung oder das Modell der Kreisläufe von Sonne und Mond symbolisch oder konkret verstehen müssen, antwortet Yeats, dass die konkrete Erfahrung sich Worte gesucht und diese sich zu Systemen zusammengefunden haben, die er wortwörtlich verstanden hat und die mit dem Wiedereinsetzen der Vernunft zu stilistischen Anordnungen von Erfahrung wurden und ihm ermöglichten „in einem einzelnen Gedanken Wirklichkeit und Gerechtigkeit festzuhalten.“
(hkl)

Nächste Rezension  

***
bestellen bei 



 


           

   

   
Literatur in Berlin: www.literarisches-berlin.de  © 2008-2015 yuba edition / Axel Klappoth (Berlin)
 Stand: 28. Juli 2015