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Mircea Cărtărescu
Die Flügel



Zsolnay Verlag, 2014

 „Zeit der Kriege schreibt Mircea Cărtărescu am Anfang seines Buches „wie seit Jahrtausenden“. Die Menschen würden jede Katastrophe überwinden und „mit einem einzigen Flügel in einem linkischen Vorwärts“ flattern. Es ist ein zorniges Buch in seiner Abrechnung mit dem gescheiterten Kommunismus, der die Menschen, jenseits von Kriegen oder Naturkatastrophen, in menschenunwürdigste Lebensbedingungen zwang. Die ins Mark treffenden Beschreibungen Bukarests im Jahr 1989, während der rumänischen Revolution und der Agonie des Ceausesco-Regimes, evozieren aktuelle Bilder von Kriegen und anderer Verbrechen gegen die Menschheit. Die  große Metapher des Dichters ist der Schmetterling, der seine Flügel nach der Metamorphose ausbreitet und sich aufschwingt. Das Bild ist schon in den Buchtiteln seiner Trilogie Orbitol angelegt. Die deutschen Übersetzungen als Die Wissenden, Körper und Die Flügel  folgen nicht der präzisen Bedeutung der rumänischen Titel, die mit Linker Flügel, Körper, Rechter Flügel zu übersetzen wären, darin wird aber die Symmetrie deutlich, die in den drei Büchern angelegt ist: die Gestalt entfaltet sich und im dritten Buch, in Die Flügel, ist der Schmetterling komplett. "Nicht der Vogel, Sondern der Schmetterling ist für die Griechen und ihre Vorgänger das Sinnbild der Seele und der Ewigkeit gewesen", sagt Herman, der junge, blauäugie, bucklige Mystiker, dem der Ich-Erzähler auf der Treppe zwischen der sechsten und der siebten Etage eines Wohnblocks lauscht und dabei etwas über immaterielle Phänomene, Artefakte, die Telomerase oder Mythos und Mystik alter Kulturen erfährt.
Und immer wenn der Ich-Erzähler auf den Treppenstufen Herman zuhört, legt die Sprache des Buches an Tempo zu und versucht das Mysterium mal mit Beispielen aus der Physik, mal aus der Geologie oder der Biologie zu fassen, … „die Technologie ist mystisch für jene, die sie nicht verstehen, und die Mystik ist eine noch unbekannte Technologie.“
In diesem Spannungsfeld von Mystik und Technologie entwickelt sich Cărtărescus Sprache über Gott. „Zwar nehmen wir ihn nicht wahr in seiner ungestümen Erhabenheit, sondern nur so viel uns gegeben ist, so wie wir vom elektromagnetischen Spektrum lediglich einen winzigen Abschnitt wahrnehmen“.

Die Flügel
ist ein sprachgewaltiges Werk, in einer Schreibart, die, fast süchtig nach der Formulierung unendlich vieler Details, alles Beschriebene letztlich ins Unermessliche ausdehnen könnte. Cărtărescu schwelgt in grenzenlosen Möglichkeiten, Erzähltes wird in Zeit, Raum und Wirkungsweise gedreht, zerlegt, wieder verbunden. Werke von M.C. Escher oder Hieronymus Bosch tauchen vor dem inneren Auge auf. Die Bilder und Szenen von Cărtărescu sind denen ähnlich, die an der Schwelle zwischen Wachsein und Schlaf in uns entstehen. 

In seiner mythischen Weite ist die Fülle des Romans in seinen Verschlingungen von Phantasiertem, Erinnertem und Erlebten und von verdichtetem geistigen Weltwissen, weder leicht zu durchdringen noch leicht zu verstehen. Vielleicht hat Cărtărescu seinen Roman als Manuskript des Lebens schlechthin angelegt, was nahe legen würde, dass auch er selbst ihn (zum Glück) nicht völlig verstanden hat. In jedem Fall ist ihm ein seltenes, aufregendes Buch mit nachhaltigen, „glühenden“ Impulsen gelungen. (bpk)  
 

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Literatur in Berlin: www.literarisches-berlin.de  © 2008 yuba edition / Brigitte Pross-Klappoth (Berlin)
 Fotos © B.Pross-Klappoth (wenn nicht anders angegeben)
 Stand: 11. März 2015