Albert Camus, Jean Grenier
Briefwechsel 1932-1960
Mit den Erinnerungen Jean Greniers an Albert Camus
Herausgegeben und
übersetzt von Jean O. Ohlenburg
Verlag Karl Alber 2013
Albert Camus, der an der Universität von Algier bei Jean Grenier
Philosophie studierte, begegnete dem Gelehrten 1931 zum ersten Mal
persönlich. Der Briefwechsel, der ein Jahr später begann und über eine
Zeitspanne von fast dreißig Jahren lebendig blieb, in dem Ideen,
Vorschläge, Anerkennungen und Kritiken hin und her gingen, in denen die
Frage nach dem Sinn des Seins immer wieder neu formuliert wurde, macht
eine feinsinnige und gegenseitig inspirierende Freundschaft sichtbar, die
am 4. Januar 1960 mit dem, durch einen Autounfall verursachten, Tod
Camus’ jäh endete. Noch kurz zuvor, am Neujahrstag 1960, hatte Grenier
in seinem letzten Brief an Camus seine tief empfundene Freundschaft
ausgedrückt, die er ihm trotz seiner „unterschiedlichen Meinung“
entgegenbrachte. Camus hörte nicht auf, Grenier immer wieder aufrichtig
für seine Freundschaft zu danken, von den anfänglichen Briefen nach
ihrer ersten Begegnung bis zu den Briefen kurz vor seinem Tod, oder wie
in seinem Vorwort von Les Îles, worin er schreibt, dass er
Grenier verdanke, ihn davor bewahrt zu haben „ein Mensch zu sein, der
vor lauter unreflektierter Gewissheit blind sei.“
Der Briefwechsel zwischen Camus und Grenier und die Erinnerungen
Greniers machen deutlich, dass das Camus so häufig zugewiesene Label,
ein Vertreter der Philosophie des Existenzialismus und des Absurden zu
sein, tatsächlich nur für seine frühen Schriften gelten kann.
Grenier, der sich dem Neuplatonismus verbunden fühlte, dem Taoismus, der
Lehre von Epikur und den Stoikern, schlug in den Briefen an Camus häufig
die Lektüre dieser Philosophien vor und nahm seinerseits geistige
Anregungen von Camus auf.
1947 schrieb er aus Alexandria an Camus: „Von Ihrem Essay erwarte ich,
dass Sie den Willen zur Macht verurteilen, weil er so viel Unheil
angerichtet hat, die Instinkte der Strolche hofiert hat“ … „Schließlich
war ich Ihrer Meinung, dass man vor den Wahrheiten auf der Hut sein
müsse. – Ich habe begonnen die Welt als ein Traumbild anzusehen“.
Die briefliche Äußerung Camus’, „Die Intensität des Augenblicks nährt
uns“, nahm Grenier später, 1967, in seinem Vorwort zur 2. Auflage von
dessen Théâtre, Récits, Nouvelles wieder auf: „Nichts ist
vergleichbar mit dem Willen, ein Ästhet oder Mystiker zu sein, um sich
in der Tiefe des Augenblicks zu verströmen“.
Grenier sah, das Camus’ Widerstand einer Gesellschaft galt, die
Anpassung verlangt und Kreativität nicht zulassen kann. Es wäre
„unmöglich gewesen, in Abrede zu stellen, dass er ein entschlossener
Ungläubiger“ war. Einen Gott könne man sich nicht vorstellen, deshalb
wäre auch die „Idee“ von einem Gott nicht akzeptabel und Camus fand
sich, so Grenier, nicht mit Ideen und Kompromissen ab. In seiner Revolte
suchte er nach Hoffnung und Liebe. Er sei „wie alle seelenvollen Männer
dem Zauber der großartigen Stoiker“ erlegen, und hätte daher kein
Verständnis für den Puritanismus gehabt. Die eigene Sympathie für die
Stoiker hatte Grenier einst mit den Worten, sie hätten eine
„beachtenswerte schöne Haltung“, Camus selbst ans Herz gelegt.
Ein eindrucksvolles Zeugnis für die Geistesverwandtschaft der beiden Männer
ist Greniers Essay Les Îles (Die Inseln). Er wurde 1933
publiziert und 1959 mit einem Vorwort von Camus bei Gallimard wieder
veröffentlicht. Diese „Reise ins Imaginäre und Unsichtbare“ bedeutete
für beide, eine Reise zu Orten der Unabhängigkeit, Ungebundenheit und
Einsamkeit. „Die Inseln“ waren eine außerordentliche Inspiration für
Camus und nachdem er das Buch gelesen hatte, begann er mit dem eigenen
Schreiben. Anlässlich einer Preisverleihung sprach er von dem „geheimnissvollen
und entscheidenden Einfluss“ den der Essay auf ihn und viele junge Leute
seiner Generation ausgeübt hatte. An anderer Stelle führte er weiter
aus, dass sie einen Lehrer brauchten, „der von anderen Ufern kam“, und
der „ihnen in unnachahmlicher Sprache sagte, dass die Erscheinungen der
Natur schön, aber auch vergänglich seien, und dass man sie daher ohne
Hoffnung lieben müsse“. Camus spricht von dem „Ton“ in Greniers
Dichtung, der ihn wie „ein Trunkener“ durch Algier gehen und still
daraus für sich Sätze rezitieren ließ.
Nach dem Tod Camus’ schrieb Grenier in seinen Erinnerungen, „Wenn
es einen Dichter der Morgenröte gibt, so ist es Camus“; und in
Anspielung auf seine Bücher Der Erste Tag und Der erste Mensch,
„Das Erste ist das Allerbeste. Warum? Weil für den, der das Leben liebt
aller Anfang schön ist …“ (bpk)
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