Boris Bröckers
Strafrechtliche Verantwortung
ohne Willensfreiheit
Nomos Verlag,
2015
Seit dem Stoiker Chrysippos von Soloi (ca. 280-207 v. Chr.) befasst sich die Philosophie mit der Frage, wie das Geschick der Welt mit dem menschlichen Handeln vereinbar ist. Die sogenannte „Ewigkeitsdebatte“ beschäftigt seitdem das Für und Wider menschlicher Willensfreiheit. In der Tradition der stoischen Kausallogik sprechen die Deterministen dem Einzelnen dabei die Fähigkeit des „Anders-handeln-könnens“, als er es tut, ab. Der napoleonische Mathematiker und Astronom Pierre-Simon Laplace erkannte hinter allen Geschehnissen einen „Weltgeist“ wirken, von
dem alles mit der Bestimmtheit einer mathematischen Formel abhängig sei. Diesem materialistischen Determinismus steht ein eher metaphysischen Positionen zugeneigter Indeterminismus, wie der Deutsche Idealismus, entgegen. In jüngster Zeit wurde der scheinbar unauflösbaren Debatte neues Leben eingehaucht, indem ausgerechnet modernste Wissenschaften, die Quantentheorie und die Mikrophysik, ein allgemeingültiges Kausalgesetz widerlegten und den Zufall als eine feste Größe annahmen.
Boris Bröckers nimmt als Ausgangspunkt seiner Untersuchung die aktuell mit Vehemenz vorgetragene Position der Hirnforschung, die weder in philosophischen noch in mathematischen Kategorien argumentiert, sondern es biologisch für erwiesen hält, dass der Mensch über keinen freien Willen verfügt, weil Konditionierungs- und Kausalbausteine, umgesetzt in chemischen Prozessen und Hirnströmen, seine Handlung vorherbestimmen. Verdichtet ausgedrückt und als fernes Echo von Schopenhauers „Wir tun nicht, was wir wollen; sondern wir wollen, was wir tun“ heißt es bei dem Hirnforscher Gerhardt Roth: „Der Mensch ist bloßer Beobachter seiner Handlungen.“ In der damit verbundenen Forderung, das auf Schuld basierende Strafrecht durch ein Schutzstrafrecht zu ersetzen, das der Prävention und dem gesellschaftlichen Nutzen dient, erkennt der Autor eine große Gefahr: „Gerechtigkeit einer Strafe lässt sich nicht aus ihrer (gesellschaftlichen) Wirkung ableiten.“
Der Autor, der für seine philosophisch-juristische Problemstellung eine ausgesprochen klare Sprache findet, will keinesfalls einen Schiedsspruch wagen oder der einen oder anderen Seite den Vorzug geben. Seine Frage ist: Was bedeutet es für das Strafgesetz, wenn man annimmt, dass der durch die Hirnforschung gestützte Determinismus wahr ist? Die Vorstellung von legitimer Strafe fußt auf der Voraussetzung der Willensfreiheit und auf der aus ihr erwachsenden moralischen Verantwortung für das eigene Tun. In Heinrich Pfennigers Kreisschluss heißt es: „Ohne Schuld kein Verbrechen, ohne Verbrechen keine Strafe, ohne Freiheit keine Schuld“ – Ein Todesurteil für das Strafrecht?
„Wir benötigen den Determinismus, um das Geschehen auf dieser Welt überhaupt verstehen und Ordnung von Zufall und Willkür unterscheiden zu können. Gleichwohl benötigen wir offenbar auch den Indeterminismus, um uns als verantwortliche Wesen verstehen zu können, die ihre Zukunft gestalten, kontrollieren und verändern.“ Bröckers bemüht die reiche philosophische und rechtswissenschaftliche Debatte des Kompatibilismus um die Möglichkeit einer Vereinbarung von Vorherbestimmtheit und verantwortlichem Handeln auszuloten und kommt zu einem eigenen Ansatz, der sich weigert einer einzigen Schulmeinung zu folgen, da sie in ihrer Absolutheit Kategorien wie freier Wille, Verantwortung und Schuld letztlich
würde nicht befriedigend fassen können.
Hinter den Begriffen reactive-atittudes-Ansatz und positiv-general-präventiver Ansatz verbirgt sich der Spagat, mit dem Bröckers ein Strafrecht anvisiert, das, die metaphysische Beweisführung von Willensfreiheit nicht beachtend, einerseits Verantwortung und Strafe aus einer praxisabhängigen und moralinternen Sichtweise aus dem gesellschaftlichen Selbstverständnis heraus begründet. Zum anderen bezieht er, zum Schutz des Angeklagten vor Rachegelüsten und subjektiv oder gesellschaftlich überzogener Strafforderung, basierend auf dem Determinismus, eine Überprüfung des Verantwortlich-machen-könnens und der Wahrung der gesellschaftlichen Vorbildfunktion ein.
Der vorliegende Band, der eine tiefgehende rechtswissenschaftliche Analyse bietet und Wege eruiert, wie das philosophische Problem der „Ewigkeitsdebatte“ in der Rechtsprechung überwunden werden könnte, richtet sich mit seiner klaren Sprache und Argumentation, sowohl an Juristen wie an eine philosophisch interessierte Leserschaft.
(hkl)
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