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Ich will Zeugnis
ablegen bis zum letzten.

Tagebücher 1933 - 1945. 2 Bände

Victor Klemperer

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Thomas Schölderle

Utopia und Utopie.
Thomas Morus, die Geschichte der Utopie und die Kontroverse um ihren Begriff.

Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2011.

 



Thomas Morus erschuf zu Beginn des 16. Jahrhunderts die fiktive Insel Utopia, und gab damit, der von Platon mit der Politeia initiierten Tradition der Vision einer idealen Gesellschaft einen eigenen Begriff. Seither steht Utopia und die Utopie für vieles: Der positiven Konnotation von Utopia als idealem, fast paradiesischem Zustand des Zusammenlebens, steht die Kritik entgegen, die in dem Begriff den gedanklichen Vorläufer der großen totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts sieht. Im Volksmund schließlich wird das Utopische schlicht als Synonym für das Unmögliche und Realitätsferne gebraucht.
Thomas Schölderle versucht in seiner Dissertation eine Begriffsklärung. Morus ist für ihn der Kulminationspunkt, nicht nur als Wortschöpfer. In seinem Utopia sind bereits die verschiedenen Facetten des Begriffs und seine Ambivalenz angelegt.
Die Utopie wird bestimmt durch Vernunft und Rationalität. Angespornt durch die Willkür und die Absurditäten der Herrschaft zu Lebzeiten des Autors, ist Utopia ein Gegenentwurf, ein Kommentar, eine Kritik, vielleicht sogar eine Satire auf die englische Gesellschaft zu Beginn des 16. Jahrhunderts. In diesem Sinne sieht Schölderle die Utopie, als Gedankenexperiment, das soziale Kritik äußert, als Triebfeder für Umgestaltungsprozesse.
Wie bei Platon stehen bei Morus nicht das Individuum, sondern das Kollektiv und seine Institutionen im Zentrum der Utopie, die deswegen zur Inspiration für den Marxismus und die Vorstellung eines idealen Kommunismus wurde. Das Ende der Utopien als Folge der Erfahrung von Nationalsozialismus und Stalinismus zu postulieren, ist nach Schölderle ein falscher Schluss. Bezieht man sich auf Morus, wie auch auf Platon, geht die Utopie immer von einer freiwilligen persönlichen Partizipation in einer konfliktfreien Gemeinschaft aus. Der Widersprüchlichkeit von Vernunft, die auch zur kalten Rationalität einer Kriegspolitik verkommen kann, ist sich der Autor bewusst. Entscheidend für ihn ist, Utopie nicht als Programm oder Zustand der Vollendung, sondern als Prozess kontinuierlicher Gedankenexperimente, gefolgt von gesellschaftlichen Veränderungen und Verbesserungen zu begreifen. In diesem Sinne ist jeder Totalitarismus falsch verstandene Utopie.
Das Fazit: die Öffnung von neuen Denk- und Vorstellungsräumen durch die Utopie wirkt der Selbstgefälligkeit einer gesellschaftlichen Ordnung, den abgeschobenen Verantwortlichkeiten und Konstruktionen von Realitäten und Sachzwängen entgegen – eine Schlussfolgerung mit deutlichem Aktualitätsbezug.
Die Abhandlung füllt gut 500 Seiten. Dem Kapitel über Thomas Morus und die Utopia folgen ausführliche Übersichten über Utopiegeschichte von der Antike bis heute und zur Utopie in den Sozialwissenschaften von Georg Quabbe, über Ernst Bloch bis zu Karl R. Popper. Im letzten Kapitel arbeitet der Autor die Kontinuität im Wandel des Utopiebegriffs heraus und entwickelt mit Bezugnahme auf Thomas Morus eine eigene Begriffsdefinition. 
(hkl)

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Literatur in Berlin: www.literarisches-berlin.de  © 2008 yuba edition / Brigitte Pross-Klappoth (Berlin)
 Fotos © B.Pross-Klappoth (wenn nicht anders angegeben)
 Stand: 17. April 2011