Eckhardt Köhn
Rolf Tietgens - Poet mit der Kamera
Fotografien 1934-1964
Die Graue Edition,
2011.
Der erste große fotografische Wurf gelang Rolf Tietgens, dem
Spross einer großbürgerlichen Hamburger Händlerfamilie, passender Weise
mit einem Bildband zum Hamburger Hafen. Die Fotos dokumentieren aus der
Perspektive eines zufälligen Betrachters das Alltägliche, von der
Löschung einer Ladung tropischer Hölzer, dem Treiben um die
Hafenkneipen, bis zu Studien von Takelagen, Schiffsrümpfen, Hebekränen,
Kutschen und Lastern. Die Einmaligkeit Hamburgs und gleichzeitig das
fast archetypisch-wesenhafte des Hafens kommen zum Ausdruck. Paradoxer
Weise erscheint der Band 1939, vier Monate nachdem Tietgens ins
amerikanische Exil reiste.
Rolf Tietgens (1911-1984) gehörte einer Generation von jungen deutschen Künstlern
an, die vor dem Nationalsozialismus flüchteten und deren künstlerische
Arbeiten vielfach dem Vergessen anheim fielen. Es ist eine traurige
Konstante in der Geschichte der Nachkriegszeit, dass gerade Opfer und
Widersacher des NS-Regimes nach der erlittenen Verfolgung, die
Demütigung der Ausgrenzung, Verdrängungen und Auslöschung aus dem
kollektiven Gedächtnis erleiden mussten. So gesehen ist Eckhardt Köhns
Fotobiografie eine späte Würdigung der Arbeiten Tietgens und der
bewusste Versuch der Auslöschung von Kunst im Dritten Reich und der
Ignoranz der Nachkriegszeit etwas entgegen zu setzen. Der Herausgeber
führt in Deutsch und Englisch anhand der Fotografien ausführlich in die
Lebensumstände des Fotografen in Hamburg, Berlin und New York ein. Dazu
gehören surreale Fotografien wie aus der Reihe „Kunstlandschaften“,
ebenso Portraitaufnahmen, Bilder von Reisen nach Mexiko oder
Griechenland und Arbeiten aus der Dokumentation des Times Square mit
seinen Leucht- und Reklametafeln.
1964 hörte Tietgens auf zu fotografieren. Die Fotografie als Relikt
seiner Vergangenheit ließ sich nicht in sein neues Leben integrieren und
wie die Sehnsucht und die Einsamkeit des sich in New York nie
heimisch fühlenden Künstlers, war dieser Schnitt ein Zeichen seiner
inneren Zerrissenheit. „Rolf Tietgens - Poet with a camera“ betitelten
ihn einige seiner amerikanischen Freunde in einem Nachruf in der New
York Times. In Deutschland war der Tod Tietgens unbeachtet
geblieben.
Nun bringt Eckhardt Köhn auf den 382 Seiten dieser gelungenen
Fotobiografie, neben der Vorstellung des künstlerischen Werkes Tietgens,
Kennern und Laien auch ein Stück Zeitgeschichte näher.
(hkl)
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