Peter Heather
Invasion der Barbaren
Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus
Aus dem
Englischen von Bernhard
Jendricke, Rita Seuß,
Thomas Wollermann.
Lange herrschte in der europäischen Geschichtsschreibung bei dem
Stichwort Völkerwanderung das Bild einer mehr oder weniger planlosen
Massenmigration von barbarischen Völkern vor, die im 1. Jahrtausend das
mittelmeerische Imperium der Römer durch ihr „Einsickern“ zerschlugen
und auf deren völkische Besonderheiten sich die Gründungsmythen
zahlreicher moderner europäischer Staaten stützen. Dem setzt Heather die
These von einem einheitlichen Reaktionsmuster der kleinen,
unentwickelten politischen Einheiten des barbarischen Europa entgegen,
die mit ihrer kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Kraft auf
die Ungleichheit der antiken imperialen Ordnung antworteten und neue
Gruppenidentitäten schufen. Die Massenmigration stellt er nicht in
Frage, aber er sieht in ihr nicht die Ursache des Wandels, sondern seine
Folge.
Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis macht den Anspruch einer
Gesamtdarstellung deutlich: Migration und Staatenbildung von Hunnen,
Germanen, Slawen und Wikingern zeichnen das Bild einer ersten, sich vor
dem Hintergrund von erstarkenden Erbdynastien abzeichnenden europäischen
Einheit. Durch Handel, auch mit außereuropäischen Reichen, wie Byzanz
und den Kalifaten des Nahen Ostens, neue Waffentechnologie und das
Aufkommen der Burgenarchitektur stellten sich Reichtum und Sicherheit
eines nicht geographisch, sondern kulturell-militärisch bestimmten
Mitteleuropas ein.
Den Begriff des Barbaren, in der Antike ein Pejorativ, benutzt Heather
wertfrei. So vermittelt er kein Bild von wilden unzivilisierten
Volksmassen. Ebenso wenig stützt er die soziologische These eines
relativ friedlichen durch Migration erzwungenen Übergangs zu neuen
Herrschaftsformen. Er erzählt vielmehr die Erfolgsgeschichte einer
aggressiven militärischen Strategie, in deren Ergebnis sich Völker
assoziierten oder neu erschufen, die als Vorläufer der heutigen
europäischen Staaten und ihrer Einheit betrachtet werden können.
Nach seiner Lehrtätigkeit am University College in London, an der Yale
University und am Worcester College in Oxford, ist Peter Heather heute
Professor für mittelalterliche Geschichte am King´s College in London.
Der geschichtliche Großentwurf zur Entstehung Europas im ersten
Jahrtausend nach Christus ist der Perspektivenwechsel zu dem viel
beachteten, 2005 im englischen Original erschienenen Der Untergang des
Römischen Weltreichs. Der Natur von geschichtlichen Darstellungen dieser
Größenordnung entsprechend, erhebt Heather nicht den Anspruch auf letzte
Genauigkeit, sondern versucht eine Interpretation, die sich mit heutigen
Erkenntnissen der Migrationsforschung, archäologischen Funden und dem
dritten Newtonschen Gesetz der imperialen Herrschaft deckt. In seinen
Worten: „Imperiale Macht erzeugt eine Gegenmacht, die mit der Zeit das
imperiale Schwert stumpf werden lässt.“ (hkl)
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