Thomas Dworzak
Kaukasus
Die Fotos schimmern durch Transparentpapier, auf das in Russisch und
Deutsch Auszüge aus Tolstois Hadschi Murat oder Puschkins Gefangener im
Kaukasus gedruckt sind. Diese Texte werden zu Leitlinien für den
Fotografen. In der von Kriegen und Fehden heimgesuchten Region ist das
Verschleppen von Leuten seit dem Beginn der russischen Invasion im 18.
Jahrhundert gängige Praxis geworden. In anderer Weise gefangen genommen
und fasziniert sind Russen und andere Ausländer angesichts der rauen
Schönheit der Bergregion, der Intensität des Lebens und der Wildheit
ihrer Bewohner. Eine Obsession, der auch Dworzak unterliegt, der in
seinem Vorwort das Hohelied auf die Kaukasier singt, auf ihre
Gastfreundschaft und Herzlichkeit, und der in der Region seine
persönliche Bestimmung gefunden zu haben glaubt.
Wildheit und Kriegslust der Kaukasier haben die großen russischen
Schriftsteller verführt, ein romantisches Bild von diesem Menschenschlag
zu zeichnen, das aber immer wieder durch die Realität, durch
Unterdrückung und Ungerechtigkeit durch die russischen Eroberer
gebrochen wurde.
In der Kommunikation zwischen Text und Bild werden diese
Realitätseinbrüche deutlich. Die schwarz-weiß fotografierten Bilder –
Dworzak ist Reportagefotograf – dokumentieren den Alltag der Menschen.
Die Bilder beschönigen nichts, überall Waffen und Panzer, Tote und
Verwundete. Die Spuren des Krieges in Tschetschenien zeichnen Menschen,
Hausfassaden und die Landschaft gleichermaßen. Tanz, Musik, ein Picknick
im Freien oder Verwundete, Flucht und Beerdigungen, alles ist in die
Realität des Krieges eingebettet.
Zwei Frauen mit wehenden Röcken werden von einem Windstoß erfasst, der
Blätter wie Schmetterlinge um sie herumwirbeln lässt. Erst auf den
zweiten Blick erkennt man, dass es nicht Blätter sind, sondern das
Formenspiel von Einschusslöchern in einer Hauswand im Hintergrund.
Das ist das Besondere der Aufnahmen: mit großer Liebe zeigen sie die
Schönheit der unterschiedlichen Menschen, in einer Welt voller Gewalt
und Wahnsinn.
1991 zog es den, damals 19 jährigen, freien Fotografen, Thomas Dworzak,
in den Osten Europas. Fünf Jahre lebte er in Tiflis und bereiste von
hier aus den ganzen Kaukasus. Seine Arbeiten wurden mehrfach
preisgekrönt und seit 2004 ist er Mitglied in der Agentur Magnum, ein
Hinweis auf die Qualität seines Fotojournalismus.
Sein Kaukasus-Buch ist eine Landkarte aus Fotos. Eine Bildlegende im
Anhang nennt die 80 Aufnahmen mit Ortsangabe und kurzer Beschreibung der
festgehaltenen Situation. Die knappen Darstellungen der zitierten
Schriftsteller und ihrer Beziehung zum Kaukasus beschließen den Band.
(hkl )
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