David Mazzucchelli.
Asterios Polyp.
Aus dem amerikanischen
Englisch von Thomas Pletzinger
Eichborn Verlag, 2011
Ein Blitz lässt das Haus von Asterios Polyp in Flammen aufgehen und legt
damit sein ganzes bisheriges Leben in Trümmer. Das geschieht an seinem
50sten Geburtstag und nur ein Schweizer Taschenmesser, ein Andenken an
seine ewig geliebte und doch so ferne Frau, kann er auf der Flucht vor
den Flammen retten. Das tiefsinnige Comic-Roman-Debüt von David
Mazzucchelli sprüht vor Witz und Esprit. Die allzu menschlichen,
materiellen, wie psychischen Abhängigkeiten und Muster eines
vergleichbar winzig anmutenden und flüchtigen Lebens versöhnt der Autor
mit der Größe des Universums, mit seinen Himmelskörpern und dem
erhabenen Thema der Liebe.
Eine Anstellung als Hilfsmechaniker in einer Autowerkstadt auf dem Land
wird für Asterios Polyp der Kontrapunkt zu seinem früheren Leben als
Stararchitekt. Eine Serie von Flashbacks führt in verschiedene
Abschnitte seiner Vergangenheit zurück, in Träume, die ihn verfolgen und
Schreckens- und Heldenvisionen, die, hoch stilisiert, eine rigide und
zugleich getriebene Persönlichkeit zeichnen.
Asterios, der eineiige Zwilling, ist der Erzähler der Geschichte: „Einer
lebte, einer war tot“. Ignazio, der nie das Licht der Welt erblickt hat,
begleitet seinen Bruder wie ein Schatten. Der platonischen Vorstellung
eines achtgliedrigen Urwesens folgend, dass dann in Mann und Frau
geteilt wurde, befindet sich Asterios auf einer zweifachen Suche nach
seinem vollständigen Selbst. Neben dem so tragisch entrissenen Bruder
und seiner innig geliebten, aber schonungslos zurückgestoßenen Frau Hana,
scheint Asterios auch einer Wiedervereinigung mit seinem eigenen Leben
bitter zu bedürfen.
Sein Konterfei ist, dem Architektenberuf entsprechend, ein Produkt aus
drei Zirkelschlägen. Der verkopfte Architekt zerfällt in geometrische
Formen, wird Teil von gedanklichen Sternensystemen, in denen die Köpfe
seiner Mitmenschen seinen eigenen Kopf in elliptischen Bahnen umkreisen.
Die Kapitel sind je nach Stimmung gelb oder rosa, gemischt farbig oder
schwarzweiß gezeichnet. Auch der Strich ändert sich immer wieder, wird
von der gestochen scharfen, blauen Linie des kalten und
rationalistischen Asterios zur verwischt unscharfen, sich aus vielen
roten Einzelstrichen zusammensetzenden Gefühlsmatrix seiner Frau Hana.
Die Anordnung der Bilder erinnert in ihren Detailaufnahmen und
Serienbildern an Kameraführung, die dann im Auszoomen das Haus des
Geschehens, die umgebende Landschaft und schließlich die Gestirne mit
einbezieht. Dann wiederum verbinden sich die verschiedenen graphischen Muster
zu ganzen Psychogramm-Kollagen. Minimalistische Stilisierungen oder
verschwommene Konturen, das Bild verbindet sich kunstvoll und nie
zufällig mit der Stimme aus dem Off und den Dialogen. Die Ansätze
„seiner“ eckigen und „ihrer“ runden Sprechblasen umschlingen sich und
verschmelzen zum deckungsgleichen „Ruhe in Frieden“, das zur Erfüllung
ihrer Liebe wird und auf ihr astronomisches Schicksal hinführt, das in
seinem Namen schon angelegt ist.
(hkl)
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