Jan Assmann
Religio duplex.
Ägyptische Mysterien und europäische Aufklärung
Verlag der Weltreligionen
im Insel Verlag, 2010
Ein „hockaktuelles Angebot
zu Frieden und Verständigung unter den Religionen“ sei das Konzept der
religio duplex, das in allen großen Religionen eine Zweiteilung
erkennt. Nur die sichtbaren, exoterischen Seiten der Religionen, die
offenbarten Religionen unterscheiden sich voneinander. Die esoterische
Seite dagegen – der Autor nennt sie die natürliche Religion oder
Religion der Philosophen – eint Judentum, Christentum und Islam mit den
ägyptischen oder griechischen Polytheismen, die alle das Heraklit´sche
hen kai pan, die All-Einheit suchen.
Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit der Zweiteilung der
ägyptischen Religion. Sie unterscheidet die öffentliche Volksreligion
und die geheimen und somit heiligen, dem Kreis der Priester
vorbehaltenen Mysterien. Diese Teilung findet ihren Ausdruck in einem
sensus literalis und einem sensus mysticus der heiligen Schriften.
Um ihnen den tieferen Sinn abzuringen, d.h. um die äußere Hülle
überwinden und zum Kern gelangen zu können, bedarf es einer
sakramentalen Ausdeutung.
Der Rabbi Maimonides deutet in diesem Sinne im 12. Jahrhundert das
Judentum als doppelte Religion, die eine Innenseite und eine Außenseite
aufweist. Von John Spencer aufgegriffen, entfaltet die Vorstellung des
doppelten Sinns eine eigene Wirkungsgeschichte im Abendland, die zu dem
Höhepunkt der Theoriebildung einer religio duplex im 18.
Jahrhundert führt.
Besonderes Augenmerk legt Assmann auf die Freimaurer, die sich ihrem
Geheimbund-charakter gemäß, als Träger des inneren, esoterischen Wissens
verstanden. Zum Ende des 18. Jahrhunderts trennten sie sich von dieser
Position, nach der sie sich von den Mysterien des Jerusalemer Tempels
herleiteten. An ihre Stelle trat ein Forschungseifer, mit dem in allen
Geheimbünden und Mysterien der Welt nach Vorläufern gesucht wurde. Dies
ist Gegenstand des zweiten Teils des Bandes, der vierzehn Beiträge des
„Journals für Freymaurer“ wiedergibt.
Ein bekanntes Beispiel für die freimaurerische Umsetzung der religio
duplex findet Assmann in Mozarts Zauberflöte, die auf den
ersten Blick als ein Märchen in der Tradition des Wiener Volkstheaters
erscheint, sich dann aber als ägyptisches Mysterienspiel erweist, das
aus Aberglaube und Unwissenheit zum Licht der Vernunft führen soll.
Wie soll nun das zweigliedrige Konzept, das Religionen in eine
Volksreligion und einen elitären inneren Kreis der Wissenden und damit
Mächtigen unterteilt, für Frieden in der Welt sorgen?
Der Autor führt den Kosmopolitismus Lessings an und Moses Mendelssohns
Begriff der „Menschenreligion“, um das Konzept der religio duplex
aus dem 18. Jahrhundert herauszuheben und für das Heute nutzbar zu
machen. Die Differenz unterschiedlicher Religionen zu akzeptieren wird
durch das Wissen um den gemeinsamen inneren Kern, um die gemeinsame
Motivation, zur Pflicht. Bei keinem anderen als Mahatma Gandhi findet
sich im 20. Jahrhundert diese Vorstellung wieder, der zur religiösen
Toleranz aufrief, da allen Religionen die eine Religion zu Grunde läge.
Gerade Indien ist heute ein Herd blutiger, religiöser Konflikte, die
dringend einer Lösung bedürfen.
In seinem kulturwissenschaftlichen Exkurs zu Religion zeigt der Autor
einen solchen Weg zum Frieden auf. Bis zu seiner Emeritierung 2003 hatte
der vielfach ausgezeichnete Professor knapp 30 Jahre lang den Lehrstuhl
für Ägyptologie in Heidelberg inne. Heute lehrt er als Honorarprofessor
für allgemeine Kulturwissenschaft an der Universität Konstanz. (hkl)
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